You are currently viewing Die Tragödie um den Antisemitismus bei Fridays for Future International

Die Tragödie um den Antisemitismus bei Fridays for Future International

Einführung: Eine Bewegung der Vernunft, Rationalität und Ressentimentfreiheit

Fridays for Future International hat in den letzten Jahren Millionen junger Menschen politisiert, auf die Straße gebracht und zivilgesellschaftlichen Druck für mehr Klimaschutz entfaltet (Lobo 2019: 10). Die Bewegung hat für Aufklärung bei dem Thema gesorgt, und zwischenzeitlich auch Empfindungen wie Flugscham etabliert. Ohne Fridays for Future wäre der frühere politische Höhenflug von Bündnis 90/Die Grünen kaum denkbar gewesen (Grönebaum: 2021).

Fridays for Future hat sich von Anfang an als eine wissenschaftsbasierte, als eine rationale Bewegung verstanden. Nicht umsonst gab es auch so viel Unterstützung aus der Wissenschaft (Greffrath: 2021), wie jene der Scientists for Future. Es ging dieser Bewegung vor allem um eine sachliche Kritik am politischen Handeln, insbesondere am politischen Unterlassen, zum Beispiel eines früheren Kohleausstieges, oder des Verbotes von Inlandsflügen. Dabei ging es dieser Bewegung aber nicht um das Schüren von Ressentiments oder eine entsprechende Moralisierung, sondern eine fakten- und nachhaltigkeitsbasierte Begründung der eigenen Forderungen. Gleichzeitig hat sich Fridays for Future nur im eigenen Zuständigkeitsbereich, der Klimapolitik, bewegt. Genau deshalb konnten sie so viele (junge) Menschen hinter sich versammeln. Damit ist es nun vorbei.

Der Antisemitismusskandal

Am 07. Oktober hat die Terrororganisation Hamas ohne Vorwarnung aus dem Gazastreifen heraus Israel überfallen, und es wurden über 1400 Jüdinnen und Juden getötet. Seit dem Holocaust gab es keinen Tag, an dem so viele Menschen jüdischen Glaubens getötet wurden. Seitdem kommt es zu entsprechenden, auch militärischen, Gegenreaktionen des israelischen Staates.

Daraufhin kam es zu Fotos mit Greta Thunberg, aber auch zu entsprechenden Posts der offiziellen Kanäle, die klar israelkritisch waren, sehr einseitig und teils sogar verschwörungstheoretisch (vgl. Butter: 2018). Denn es war von einem Apartheids-Staat die Rede, von der Schuld Israels an den Attentaten, es wurden Links zu Seiten gepostet, die das Existenzrecht Israels klar in Frage stellten. Teils war sogar beim schwedischen Ableger von Fridays for Future von einem „Genozid“ Israels die Rede, was ganz klar antisemitisch ist, und die „Gehirnwäsche“ der „westlichen Medien“ war klar verschwörungstheoretisch.

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat sich im Namen von Fridays for Future Deutschland klar von israelfeindlichen Äußerungen auf dem internationalen Account der Klimaschutzbewegung distanziert. Dennoch hat Greta Thunberg noch mehrfach nachgelegt mit entsprechenden pro-palästinensischen Demonstrationsaufrufen. Vor allem die Einseitigkeit, die Verkennung der jüdischen Opfer und zuletzt die Radikalisierung der Wortwahl bis hin zur faktischen Infragestellung des Existenzrechts Israels, hat den Antisemitismusskandal von Fridays for Future International begründet.

Wie sich Greta Thunbergs Stärken jetzt in ihre Schwächen verwandeln.

Greta Thunberg ist eine unbeirrte, charismatische und mitreißende Persönlichkeit. Sie ist in ihrem politischen und moralischen Urteil sehr klar, und sie arbeitet auch sehr deutlich mit Emotionen, obgleich sie selbst angegeben hat, diese nicht so wie andere empfinden zu können. Diese Eigenschaften haben dazu beigetragen, sie zu einer globalen Ikone der Klimaschutzbewegung zu machen, zu einer beharrlichen Kämpferin für echten Klimaschutz, die auch Kritik einfach wegsteckt.

Genau das wird ihr allerdings jetzt zum Verhängnis. Ihre Glaubwürdigkeit konnte früher kaum in Frage gestellt werden (vgl. von Lucke: 2019)

Denn sie ist in diesem komplexen Konflikt klar parteilich für die Palästinenser, lässt sich von der Kritik des deutschen Ablegers der Fridays for Future kaum beirren, und sie zeigt faktisch keine Empathie mit den jüdischen Opfern des Terrors der Hamas. Das bedeutet: Die Eigenschaften, die Thunberg zur Ikone werden ließen, führen jetzt zu ihrer politischen Verzwergung.

Warum all das für Fridays for Future ein Problem ist

Dafür gibt es mehrere Gründe.

  • Man kann sich nicht mehr vorbehaltlos zu dieser Bewegung bekennen. Denn zu Antisemitismus als besonders schlimmer Form gruppenbezogener Menschenfeindlchkeit (Heitmeyer: 2018) darf nicht geschwiegen werden.
  • Menschen sind kognitiven und politischen Dissonanzen ausgesetzt. Denn was soll man jetzt tun, wenn man einerseits für konsequenten Klimaschutz, aber andererseits auch konsequent gegen jeden Antisemitismus ist
  • Die Organisation wird Menschen verlieren, die gemeinsam mit ihnen auf die Straße gehen, und damit auch politische Wirkmächtigkeit verlierne
  • Es kommt schon jetzt zu internen Spannungen und Verwerfungen, insbesondere zwischen Fridays for Future Deutschland und international
  • Die Gegnerinnen und Gegner von Fridays for Future haben jetzt ohne jede Not entsprechende Argumente bekommen, warum diese Bewegung kein Vorbild für die Jugend sein kann
  • Die auch offizielle Unterstützung dieser Bewegung durch die Politik, das uneingeschränkte Bekenntnis zu ihr und ihren Zielen ist nicht mehr möglich.
  • Weil sich zeigt, dass eine kleine Minderheit dieser Organisation einen sehr großen Schaden anrichten kann, und es dafür faktisch kein Korrektiv gibt. Dies aber bedeutet, dass es immer wieder zu solchen Skandalen kommen kann.
  • Weil es vollkommen unklar ist, warum die Bewegung bei einem Thema, das nicht ihr Kernthema ist, so viele Menschen und Organisationen gegen sich aufbringt
  • Weil es der Bewegung im internationalen Kontext an einer Person fehlt, zu der sie sich vorbehaltlos bekennen kann, was die Wahrscheinlichkeit reduziert, in unserer zunehmend personalisierten Medienwelt (Lobo: 2019) überhaupt mit Klimaschutzthemen innerhalb der aktuellen Aufmerksamkeitsökonomie (Schroer: 2014) durchzudringen.

Warum diese Probleme weit über die Bewegung von Fridays for Future hinausreichen

Die Klimakrise hat nichts von ihrer Dringlichkeit verloren, ganz im Gegenteil. Im internationalen Kontext haben wir teilweise in diesem Jahr die heißesten Monate seit Beginn der Sommeraufzeichnungen erlebt, und das 1,5-Grad Ziel werden wir nicht nur schneller erreichen, als uns lieb ist, sondern auch schneller, als die meisten Klimamodelle es annahmen. Gleichzeitig erleben wir, gerade in Deutschland, dass wenn Klimaschutz konkret wird, wenn er gegebenenfalls auch Geld kostet, die Ablehnung deutlich steigt, und zum Beispiel klimapolitisch eine Regierung unter Beteiligung der Grünen hinter die Klimapolitik der Großen Koalition zurückfällt.

Das bedeutet: es gab wohl noch nie einen Moment, in dem eine starke Bewegung für mehr Klimaschutzpolitik wichtiger war als jetzt. Und genau jetzt hat sich die bestehende Bewegung, vollkommen unnötig, diskreditiert. Daraus resultierend sinkt allerdings dann der zivilgesellschaftliche Druck, und damit die Wahrscheinlichkeit der Veränderung staatlichen Handelns (vgl. Acemoglu/Robinson: 2019).

Gleichzeitig liefert ausgerechnet Fridays for Future International jetzt allen Verschwörungstheo-retikern für ihre Medienkritik eine legitimationserzeugende Vergleichsplattform („selbst Fridays for Future sagt, westliche Medien betreiben Gehirnwäsche“), dasselbe gilt für alle Israelfeinde. Eine eigentlich progressive politisch Bewegung macht es somit den Gegnerinnen und Gegnern progressiver Politik leicht.

Gleichzeitig gibt es jetzt natürlich auch einen enormen Vertrauensverlust, gerade bei jungen Menschen. Die Enttäuschung über Greta Thunberg und Fridays for Future International kann dann in Resignation und Apathie umschlagen, und das ist genau das letzte, was angesichts einer sich kolossal zuspitzenden Klimakrise benötigt wird.

Fazit:

Der Antisemitismusskandal weist weit über Fridays for Future hinaus. Denn es ist ein gravierendes Problem, wenn ein Vorbild der Jugend sich moralisch derart diskreditiert. Es wird somit das Agieren der Gegnerinnen und Gegner einer konsequenten Klimaschutzpolitik deutlich erleichtert. Der deutsche Ableger sollte austreten, um zumindest zu retten, was zu retten ist.

Literatur:

Acemoglu, Daron/Robinson, James (2019). Gleichgewicht der Macht. Der ewige Kampf zwischen Staat und Gesellschaft. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.

Butter, Michael (2018). „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien. Berlin: Edition Suhrkamp.

Greffrath, Mathias (2021). Follow the Science, Follow the Law! Die Klimakrise und die Zukunft des Staates. Blätter für deutsche und internationale Politik, 7, S. 61-68.

Grönebaum, Stefan (2021). Grüne 2021: Die Macht im Visier. Blätter für deutsche und Internationale Politik, 1, S, 9-12.

Heitmeyer, Wilhelm (2018). Autoritäre Versuchungen. Berlin: Edition Suhrkamp.

Lobo, Sascha (2019). Reaitätsschock. Zehn Lehren aus der Gegenwart. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Schroer, Markus (2014). Soziologie der Aufmerksamkeit. Grundlegende Überlegungen zu einem Theorieprogramm. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologi, 66, S. 193-218.

Von Lucke, Albrecht (2019). „Fridays for Future“. Der Kampf um die Empörungshoheit. Wie die junge Generation um ihre Stimme gebracht werden soll. Blätter für deutsche und internationale Politik, 3, S. 91-100.