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Warum DIE LINKE bei der Bundestagswahl so abgestürzt ist

Einleitung: Ein Absturz mit Ansage

DIE LINKE hat sich für diese Bundestagswahl das Ziel der Zweistelligkeit vorgenommen und dieses existenzbedrohend mit 4,9% der Zweitstimmen verfehlt. Es waren lediglich die drei Direktmandate (und die sehr weise Entscheidung, sehr viel in den Erststimmenwahlkampf im Leipziger Süden zu investieren), welche die parlamentarische Existenz der LINKEN retteten. Jedoch bedeutet dieses Ergebnis, dass die Partei fast die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler verloren hat, und jetzt die kleinste Fraktion im Bundestag ist, statt wie in der Legislatur 2013-2017 Oppositionsführerin. Es war jedoch ein Absturz mit Ansage, denn schon bei der Europawahl lag das Zweitstimmenergebnis lediglich bei 5,5%. Es war in den letzten Jahren relativ klar, welche Wählergruppen und Milieus diese Partei verlieren würde, aber eben nicht, welche sie gewinnt. Hierbei gibt es bestimmte Umstände, welche die Partei nicht beeinflussen konnte, sehr wohl aber einige, die sie beeinflussen könnte. Sie lassen sich mit dem analytischen Trikolon Selbstreferenz, Strategielosigkeit und Stagnation zusammenfassen. Jedoch ist die Ursachenanalyse noch komplexer, und genau von dieser Komplexität und diesen Ursachen handelt dieser Text.

Das doppelte Demografieproblem

DIE LINKE hat insbesondere in den neuen Bundesländern deutlich verloren. Die Zeiten, in denen sie dort faktisch eine Volkspartei waren (Scharenberg: 2008), sind lange vorbei. Dies hat insbesondere mit ihrem doppelten Demografieproblem zu tun. Denn einerseits hat sie in den Ost-Landesverbanden ein Durchschnittsalter um die 70 Jahre (!), was dann natürlich die Wahlkampf- und Kampagnenfähigkeit, aber auch schlicht die normale Parteiarbeit zunehmend erschwert, weil sie für immer mehr Mitglieder körperlich kaum leistbar ist. Gleichzeitig versterben aber auch zunehmend diejenigen, die stärker eine Bindung an die Idee des Sozialismus beibehielten, und deshalb treu DIE LINKE wählten, selbst wenn sie mit der Partei und ihrer konkreten Politik unzufrieden waren (vgl. Mau: 2020; Gysi: 2017). Hinzu kommt, dass es in den ostdeutschen Landesverbänden eine Lücke gibt bei denjenigen, die jetzt in der Mitte ihres Lebens stehen, da es nach der Wendezeit kaum Eintritte gab, und damit auch die Landesverbände durchaus auch viele junge und sehr viele sehr alte Mitglieder haben, aber kaum jene in der Mitte des Lebens und der Mitte der Gesellschaft, was sich dann auch auf die konkrete Politik, aber auch Politikfähigkeit niederschlägt. DIE LINKE findet in der arbeitenden Bevölkerung wenig statt, was natürlich ein Problem für ihre Alltagstauglichkeit ist. Das doppelte Demographieproblem ist insbesondere in den ostdeutschen Landesverbänden virulent, und es ist der Hauptgrund dafür, dass sich die Wahlergebnisse zwischen Ost und West bei der Linken angleichen, aber dadurch auch keine Ergebnisse im Osten jenseits der 20% die parlamentarische Existenz retten können.

Das Protestpartei-Problem

DIE LINKE, bzw. auch die PDS, hat sich immer auch als Protestpartei gegen kapitalistische Verhältnisse verstanden (Scharenberg: 2008). Der Wahlkampfslogan der Bundestagswahl 2009 „Wir zahlen nicht für eure Krise“, der durchaus auch populistisch war (Müller: 2016) hat dies treffend veranschaulicht, ebenso ihr erfolgreicher Frame „Hartz IV ist Armut per Gesetz“ als Protest gegen die Agenda 2010. Als damalige PDS war die Partei auch eine erfolgreiche Protestpartei gegen den Ausverkauf des Ostens durch die damalige Treuhand (Ther: 2019; Köpping: 2018), genau wie in ihrer Opposition gegen die Hartz-Gesetze, welche ja dann zum Zusammenschluss von PDS und WASG zur LINKEN führten. Dies waren sehr konkrete Sachverhalte, und Themen, welche Menschen unmittelbar als negativ erlebten, insbesondere als Deklassierung (Mau: 2020). Wer unzufrieden war und den Parteien der politischen Mitte einen Denkzettel verpassen wollte, wählte einige Zeit DIE LINKE.

Mit dem Aufkommen der AfD hat sich dies jedoch verändert. Auch sie versteht sich als Protestpartei, und sie ist radikaler, kompromissloser und unversöhnlicher in ihrer Protesthaltung. Sie ist eine autoritär-nationalradikale Partei (Heitmeyer: 2018), und damit die größtmögliche parlamentarisch vertretene Antithese zur bestehenden Politik. Sie regiert nirgendwo mit, stellt keinen Ministerpräsidenten, hat auch gar nicht behauptet, mitregieren zu wollen, und kann sich daher glaubwürdig als politisch inkorrekte Anti-Establishment-Partei (vgl. Bohrmann/Laux/Rosa: 2018;Müller: 2016) inszenieren. Und sie schürt bewusst Ressentiments, gegen Geflüchtete, Menschen mit Migrationshintergrund, Andersdenkende, politische Korrektheit, Feminismus und vieles mehr (Hillje: 2018; Ötsch/Horaczek: 2017). Sie ist eine bewusste Ressentimentpartei (Olschanski: 2016), und genau deshalb auch als Protestpartei so erfolgreich.

Hinzu kommt, dass insbesondere Geflüchtete sichtbar sind. Sie werden aufgrund kultureller Differenzen auch teils als anders wahrgenommen als Deutsche, und es kommt die fast schon anthropologische Angst vor dem Unbekannten hinzu, was erklärt, warum die rechte Mobilisierung gegen „Fremde“ so erfolgreich war (Bauman: 2017). Demgegenüber sind kapitalistische Verhältnisse sehr abstrakt, Armut ist beschämend und wird lieber versteckt, und nicht wenige Menschen sind zwar neidisch auf den Reichtum anderer, wären aber durchaus selbst gern reich, aber nicht unbedingt gern selbst Geflüchtete. Anders gesagt: das rechte Thema des Protestes war und ist konkret, jener der Linken eher abstrakt, und konkrete Menschen schaffen eine stärkere emotionale Mobilisierung als abstrakte Verhältnisse. Genau deshalb wanderte der Protest von der LINKEN zur AfD.

Die Linke hat die Frage strategisch nicht beantworten können, was nach dem Protest kommt (Lederer/Miemiec: 2016). Und das ist ihr jetzt auf die Füße gefallen, denn sie hat, wie schon bei vergangenen Wahlen, den Großteil der Protestwählerinnen und Protestwähler verloren.

Das mehrfache Identitätsproblem

DIE LINKE, vor allem aber die PDS war auch eine Identitätspartei, nämlich die Identitätspartei ostdeutscher Interessen und Biographien (Mau: 2020; Scharenberg: 2008). Gerade in den neunziger Jahren und Nullerjahren war diese biographische Abgrenzung gegenüber Westdeutschen noch recht stark ausgeprägt, was insbesondere auch mit den konkreten Deklassierungserfahrungen vieler Ostdeutscher zu tun hat (Mau: 2020; Köpping: 2018). Die Wahl der PDS bzw. der LINKEN war damit auch ein Ausdruck einer identitären ostdeutschen Selbstvergewisserung, und gerade die PDS war im Selbstverständnis eine Anwältin des Ostens. Jedoch wäre heutzutage eine Plakatkampagne wie jener der PDS 1998, nämlich „Der Osten wählt rot“ heute undenkbar, und auch faktisch nicht mehr zutreffend. Zwar gibt es eine Diskussion um eine „Dritte Generation Ost“, aber die ostdeutsche Identität verliert an Bindewirkung, und damit die Partei, die diese mit erzeugte, aber auch von ihr lebte. Auch das hat neben der Demographie so viele Ost-Stimmen gekostet. Und es ist auch nicht mehr einfach herstellbar, wie der dezidiert auf ostdeutsche Themen setzende Landtagswahlkampf der LINKEN in Sachsen-Anhalt zeigte.

DIE LINKE versteht sich aber auch als Arbeiterinnen- und Arbeiterpartei, welche die Gesellschaft in ihrer Analyse stark Klassen denkt statt in Milieus, Lebensräumen, postmodernen Identitäten oder gar individuellen Singularitäten (Reckwitz: 2018). So etwas wie ein Klassenbewusstsein (Wagner: 2008; Boltanski/Chiapello: 2006), ein Selbstverständnis als Arbeiterin bzw. als Arbeiter ist allerdings selten, und nicht selten sind diejenigen, die auch dieses Identitätsangebot aufgrund ihrer sozioökonomischen und soziokulturellen Situation hätten wählen können, eher nach rechts gewandert und haben das nationale Identitätsangebot angenommen (Eribon: 2016). Das Klassenbewusstsein, und damit meist eine linke Selbstidentität, ist jedoch eine gesellschaftliche Rarität, was natürlich für eine sozialistische Partei ein riesiges Problem ist.  In der Konsequenz ist DIE LINKE auch kaum mehr Identitätspartei, und sie hat es auch nicht geschafft, eigene Milieus herauszuarbeiten und zu kultivieren, wie es den grünen mit der neuen urbanen akademischen Mittelklasse gelang (Reckwitz: 2018). Auch das hat zum Abstieg beigetragen, und war mehr als nur Stagnation.

Das Dogmatismusproblem als Moralismusproblem

Eines der Hauptprobleme der LINKEN. Sie verfügt über mangelnde Ambiguitätstoleranz (also die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten; vgl. Pörksen: 2019) und einen einflussreichen Teil der Mitgliedschaft, aber auch der Bundestagsfraktion, der derart dogmatisch ist, dass Selbstreferenz und Stagnation die Folge sind. Das schlagendste Beispiel dessen war die Enthaltung zum Abzugseinsatz der Bundeswehr in Kabul.

DIE LINKE setzt für sich selbst, zumindest in der Bundespolitik, bestimmte klare Linien, wie jene, keinem Auslandseinsatz der Bundeswehr zuzustimmen, keinerlei Waffenexporten, keinerlei Sozialabbau und vielen weiteren. Paradigmatisch steht hierfür der linke Diskurs um „rote Haltelinien“ der Regierungsbeteiligung. Auch nimmt DIE LINKE kategorisch keinerlei Parteispenden aus der Wirtschaft an. Dies dient einerseits natürlich der Selbstvergewisserung, aber eben auch der moralischen Selbstüberhöhung im Vergleich zu anderen Parteien. Dies ist tatsächlich für nicht wenige Mitglieder auch notwendig, da sie sozioökonomisch nicht den besten Stand in der kapitalistischen Gesellschaft haben (und nicht selten persönliches Scheitern politisieren), aber dann wenigstens das Gefühl der moralischen Überlegenheit brauchen, um sich selbst aufwerten zu können, indem andere abgewertet werden (ob als „Kriegstreiber“, „NATO-Strichjunge“ oder ähnliches; vgl. Sandel: 2020; Pörksen/Schulz von Thun: 2020). Insbesondere Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht haben diese Methode rhetorisch nahezu perfektioniert. Dadurch aber braucht die Fähigkeit zum Empowerment der eigenen Mitglieder und Anhänger allerdings den Dogmatismus, denn es funktioniert nur, wenn die eigenen Prinzipien eindeutig sind. Das führt dann aber dazu, dass selbst in einer Situation, in der es eindeutig darum geht, Menschenleben zu retten, und in der die Partei erhobenen Hauptes hätte sagen können: „Wir waren von Anfang an dagegen, und wir haben Recht behalten, aber wir müssen jetzt selbstverständlich alles dafür tun, dass diejenigen, die für uns tätig waren, gerettet werden, weil wir für die eine Verantwortung tragen und uns um sie kümmern müssen“ genau das derzeit gar nicht tun kann. Das Formulierungsbeispiel wäre ein linkes Narrativ gewesen, aber es hätte die Erzählung der Prinzipienfestigkeit verletzt, und das war vielen eben wichtiger, was die Selbstreferenz perfekt ausdrückt. Dadurch aber zeigt sich die Partei als starr und unflexibel, denn nicht immer passen die Prinzipien zur komplexen und widersprüchlichen Realität.

Hinzu kommt, dass Abweichungen von bestimmten Dogmen sehr schnell auch innerparteilich mit entsprechenden Abwertungen versehen werden und stark moralisch aufgeladen werden. Dies schmälert natürlich die diskursive und kulturelle Attraktivität der Partei, gerade auch für jüngere, die mitten in ältere Kämpfe geworfen werden. Dogmatismuskämpfe, die nicht wirklich ausgefochten wurden, und die moralistisch aufgeladen werden, was zu umfassenden Verwundungen innerhalb der Mitgliedschaft führt.

Die programmatische Stagnation

Das Dogmatismusproblem als Moralismusproblem führt direkt zum nächsten Grundproblem, nämlich der programmatischen Stagnation. Die LINKE hat zentrale Fragen seit einem Jahrzehnt nicht klären können: Ist sie für ein Bedingungsloses Grundeinkommen, oder nicht? Sind unter bestimmten Umständen UN-mandatierte Einsätze möglich, oder nicht? Auch finden sich in immer neuen Variationen Formelkompromisse wie der „Neustart für Europa“ oder ein „Europäisches Sicherheitsbündnis unter Beteiligung Russlands“, die zwar gut klingen, bei denen man aber überhaupt nicht weiß, wie diese funktionieren sollen (oder die es schon gibt, aber die faktisch irrelevant sind, wie die OSZE).

Das Problem ist, dass andere, abweichende Positionen gern abgewertet oder schlicht überhaupt nicht wirklich diskutiert werden, wie die außenpolitische Konzeption des verteidigungspolitischen Sprechers Matthias Höhn, weshalb auch keine Weiterentwicklung möglich ist. Das Erfurter Parteiprogramm ist von 2011, und es gibt, um Bewusstsein der Dogmatismen und Konflikte, auch keinerlei erkennbare Bestrebungen zu einer Aktualisierung der Programmatik. Jedoch hat sich die Welt deutlich weiterentwickelt, und es stehen, gerade nach der Pandemie, ganz neue Fragen auf der Tagesordnung. Hier wirken dann z.B. die Grünen mit ihrem neuen Grundsatzprogramm samt Klärung innerparteilicher Streitpunkte natürlich frischer und entschiedener. Die Programmatik der LINKEN wirkt hingegen kaum über die eigenen Kernklientel hinaus, und ist entsprechend selbstreferenziell.

Das Konkurrenzproblem

Wofür DIE LINKE natürlich nichts kann, ist die Zunahme an Konkurrenz links der politischen Mitte. Einerseits ist die SPD einmal mehr vor einer Wahl programmatisch nach Links gerückt. Gerade in den städtischen und akademischen Milieus, in denen sie als die Partei der Flüchtlingshelfer teilweise hatte punkten können, ist die Konkurrenz durch die Grünen sehr stark. Auch DIE PARTEI, mit der Die LINKE nicht selten in gemeinsame Fraktionen geht, konkurriert mit ihr um (insbesondere jüngere, männliche) Wählerstimmen, und sie ist auch deutlich lustiger. Aber auch VOLT als dezidiert proeuropäische, eher links orientierte Partei hat Stimmen gekostet. Es sind einfach andere Parteien hinzugekommen, aber DIE LINKE hat sich faktisch kaum verändert, und dann teilt sich das Wählerinnen und Wählerpotenzial entsprechend auf

Das Problem der Nicht-Strategie

Die Union hatte bei dieser Bundestagswahl die Strategie, im Schlafwagen und möglichst geräuscharm das Kanzleramt zu erobern. Die AfD hat den Schulterschluss zu den Querdenkern gesucht („Hände waschen, nicht Hirne“), und sich ansonsten als stramm nationalkonservative Partei der ländlichen Regionen aufgestellt, die Kulturkämpfe führt („Deutsch statt gendern“). Die SPD hat erfolgreich darauf gesetzt, dass Solidität und Stabilität belohnt werden, und dass diesmal eben der Vizekanzler Olaf Scholz für genau diese Solidität steht. Gleichzeitig konnte sie eine Erzählung etablieren, dass es natürlich Veränderung geben soll, aber nicht zu viel, und alles sozial abgefedert. Mit der „Respekt“ Kampagne hat sie auch erfolgreich den Zeitgeist getroffen Die Grünen haben den Schulterschluss mit der Jugend gesucht und die Klimakrise in den Mittelpunkt der Kampagne gerückt und einen politischen Aufbruch beschworen, zu dem sie bereit sind, aber die Mehrzahl der Gesellschaft (noch) nicht. Die FDP hat sich diesmal als solide Alternative zur Union präsentiert, welche klassisch wirtschaftsliberale Themen bedient plus die Steuern senken und die Digitalisierung vorantreiben will. Und DIE LINKE: Hatte keine erkennbare Strategie. Wenn, dann war es die, soziale Fragen in den Mittelpunkt zu stellen. Allerdings war diese nicht wahlentscheidend, und die großen sozialen Verwerfungen kommen erst bei den Haushaltskürzungen nach der Pandemie, die uns bevorstehen werden (Truger: 2021). Erst hinten heraus, als seitens der Union das Schreckgespenst rot-grün-rot beschworen wurde, gab es eine auffällige Annäherung an diese beiden Parteien, auch, um eine machtpolitische Relevanz zurückzugewinnen, welche DIE LINKE schon davor verloren hatte, weil sie definierte, was sie auf keinen Fall aufgeben würde (siehe Dogmatismusproblem), was aber für SPD und Grüne notwendige Bedingungen einer Koalition waren. Aber auch beim Dauerbrennerthema Sahra Wagenknecht fand und findet ein strategisches Määndern statt: von Einbindung als Fraktionsvorsitzende zu laissez-faire bei der „Aufstehen“ Bewegung oder jetzt dem Versuch der Ignoranz, gerade nach ihrem jüngsten Buch. Durch dieses sowohl-als-auch empfanden aber einerseits die Wagenknecht-Fans die Partei als illoyal, und diejenigen, für die DIE LINKE gerade wegen Wagenknecht unwählbar ist, die Partei als viel zu zaghaft. Der Preis der strategischen Unentschiedenheit waren Verluste in beiden Gruppen.

Das strategische Grundproblem ist jedoch: eine echte, längerfristige Aufstellung ist nicht erkennbar, und beim großen Projekt der Konsolidierung in den alten Bundesländern gab es erkennbare Rückschritte. Dadurch aber, dass DIE LINKE für sich keine erkennbare Strategie hat, stellen sich die Wählerinnen und Wähler zurecht die Frage, ob sie überhaupt eine für das Land hätte. Die strategische Unentschiedenheit zeigt sich aber auch darin, dass immer noch ernsthaft darüber diskutiert wird, ob man auf Bundesebene überhaupt wirklich mitregieren möchte, oder ob einem dies nicht zu viele Kompromisse abverlangen würde (und überhaupt seien in Westeuropa regelmäßig Linksparteien in Regierungen abgestraft worden, was empirisch tatsächlich stimmt).

Dass es allerdings auch den anderen Fall gibt, nämlich Menschen, die sich von der LINKEN abwenden, weil sie ihre Politik mangels Partnern nicht umsetzen, und regelmäßig in teils unterirdischer Manier die Parteien beschimpfen, die ihre einzige Machtoption darstellen, komplettiert das Problem der Strategielosigkeit.

Fazit

Insgesamt gibt es also viel Stagnation und teils Rückschritte, insbesondere durch den systemisch notwendigen Dogmatismus ein erhebliches Maß an Selbstreferenz, aber vor allem eine Strategielosigkeit, welche sich bei dieser Bundestagswahl fast verheerend ausgewirkt hätte. Zumindest an letzterem kann die Partei jedoch etwas ändern.

Literatur:

Bauman, Zygmunt (2017). Symptome auf der Suche nach ihrem Namen und ihrem Ursprung. In Geiselberger, Heinrich (Hg.). Die Große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit. Berlin: edition Suhrkamp, S. 37-54.

Bohrmann, Ulf/Laux, Henning/Rosa, Hartmut (2018). Desynchronisation und Populismus. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1, S. 195-226.

Boltanski, Luc/Chiapello, Eve (2006). Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK Verlag.

Eribon, Didier (2016). Rückkehr nach Reims. Berlin: Edition Suhrkamp.

Gysi, Gregor (2017). Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie. Berlin: Aufbau Verlag.

Heitmeyer, Wilhelm (2018). Die autoritäre Versuchung. Signaturen der Bedrohung. Berlin: Edition Suhrkamp.

Hillje, Johannes (2018). Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen. Bonn: Dietz.

Köpping, Petra (2018). Ostdeutschland oder das große Beschweigen. Wie die Fehler der Nachwendezeit unsere Demokratie vergiften. Blätter für deutsche und internationale Politik, 10, S. 41-52.

Lederer, Klaus/Miemiec, Olaf (2016). Was kommt nach dem Protest? Der Aufstieg der AfD und die Krise der Linken. Blätter für deutsche und internationale Politik, 10, S. 97-104.

Mau, Steffen (2020). Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft.

Müller, Jan-Werner (2016). Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin: Edition Suhrkamp.

Olschanski, Reinhard (2016). Die Politik des Ressentiments. Blätter für deutsche und internationale Politik, 11, S. 43-48.

Ötsch, Walter/Horaczek, Nina (2017). Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung. Frankfurt am Main: Westend Verlag.

Pörksen, Bernhard/Schulz von Thun, Friedemann (2020). Die Kunst des Miteinander Redens. München: Carl Hanser Verlag.

Pörksen, Bernhard (2019). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Carl Hanser Verlag.

Reckwitz, Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Berlin: Suhrkamp.

Sandel, Michael (2020). The tyranny of merit. What´s become of the common good. New York: Farrar, Strauss and Giroux.

Scharenberg, Albert (2008). Die doppelte Linkspartei. Blätter für deutsche und internationale Politik, 5, S. 5-8.

Ther, Philipp (2019). Die deutsche Schocktherapie. Der deutsche Sonderweg und die Transformation Ostmitteleuropas. Blätter für deutsche und internationale Politik, 12, S. 85-96.

Truger, Achim (2021), Schuldenbremse oder: Die Abkehr von einem Dogma. Blätter für deutsche und internationale Politik, 2, S. 5-8.

Wagner, Gabriele (2008). Vom Verstummen der Sozialkritik. In Wagner, Gabriele/Hessinger, Philipp (Hg.). Ein neuer Geist des Kapitalismus? Paradoxien und Ambivalenzen der Netzwerkökonomie. S. 311-338.

Transparenzhinweis: Der Autor war von 2003-2018 Mitglied der PDS bzw. der LINKEN