In Niedersachsen wurde gestern ein neuer Landtag gewählt, mit teils bemerkenswerten Ergebnissen. Genau dieses Wahlergebnis soll hier analysiert werden
- Der Ministerpräsident Stephan Weil hat einen starken Amtsinhaberbonus. Denn seine SPD lag gestern 15% über dem derzeitigen Bundestrend seiner Partei, und er reiht sich ein in eine lange Reihe erfolgreicher Wiederwahlen von Ministerpräsidenten, welche nur die Ausnahme des Saarlandes mit dem unbeliebten Tobias Hans (CDU) hatte. In unsicheren Zeiten werden bewährte Amtsinhaber*innen für gewöhnlich wiedergewählt, wenn sie sich bewährt haben und menscheln.
- Es wird nach wie vor das Original gewählt, nicht die Kopie. Sowohl die Pro-Atomkraft-Kampagne der FDP als auch der „heiße Herbst“ der Linken war nichts, wovon diese beiden Parteien profitieren könnten. Denn es wird eben die Partei gewählt, die stärker mit bestimmten Themen verbunden wird.
- Für die CDU war das Ergebnis wirklich schlecht, denn es ist ihr kein einziges ihrer Wahlziele gelungen. Weder konnte sie stärkste Kraft werden, noch rot-grün verhindern. In ihren ländlich geprägten Hochburgen wie Cloppenburg hatte sie immer noch fulminante Ergebnisse, aber die Städte und die jüngeren Wählerinnen und Wähler bleiben ihr Problem.
- Für die Grünen ist das Ergebnis respektabel, und natürlich eine Verbesserung, aber dennoch nicht gut. Denn es blieb noch unter dem Bundestrend, und sie haben erneut gegenüber starken Umfragen eingebüßt. Die starke Verbindung der aktuellen Energiepolitik mit den Grünen, auch Habecks jüngste kommunikative Missgeschicke haben dazu beigetragen. Die erstmals errungenen Direktmandate in Hannover, Göttingen und Lüneburg zeigen allerdings, dass die Grünen auch in Niedersachsen in den (Universitäts)Städten zunehmend hegemoniefähig werden.
- Das Ergebnis für die AfD ist für alle demokratischen Parteien beschämend, aber leider nicht überraschend. Diejenigen, die gern die Sanktionen gegen Russland aufheben wollen, die mit der Energiepolitik massiv unzufrieden sind, haben eben AfD gewählt. Der Kern ist allerdings generalisiertes Institutionenmisstrauen, denn die Wählerinnen und Wähler der AfD sind enorm unzufrieden mit der Demokratie, und sie entscheiden sich so für eine destruktive Protestwahl. Nachdem es in Schleswig-Holstein gelang, die AfD draußen zu halten, so ist das jetzt schwierig, und die AfD wird zusehen, als Generalopposition sich zu inszenieren, gerade gegen eine designierte rot-grüne Regierung
- Es war ein ungemütlicher Abend für die FDP, in dessen Konsequenz die FDP ungemütlicher im Bund werden wird. Weder das Energiethema zog für die Liberalen, noch konnten sie diesmal mit dem Anspruch einer anderen Pandemiepolitik punkten. Jetzt wollen sie sicher in Berlin mehr durchsetzen, denn ihr zentrales Versprechen der Schuldenbremse ist spätestens seit den Entlastungspaketen mit „Doppelwumms“ Geschichte, und kein Finanzminister hat je so viel ausgegeben wie Christian Lindner. Das Problem ist, dass die Bereitschaft von SPD und Grünen, der FDP entgegenzukommen, gegen Null geht, und das kann bedeuten: Dauerkrach in der Ampel.
- DIE LINKE ist die große Wahlverliererin des abends. Obwohl durch die Inflation die soziale Frage so aktuell ist wie ewig nicht, hat sie sich fast halbiert. Einerseits fehlte im Wahlkampf der Niedersachsen-Bezug, andererseits wirkte sie zerstritten, und ihre strategische Unentschiedenheit zwischen der Einbindung und Abstoßung von Sahra Wagenknecht fiel ihr bei dieser Wahl genauso auf die Füße wie bei der Bundestagswahl. Und Ressentimentbewirtschaftung (Oliver Nachtwey) zahlt eben politisch meist rechts ein. Der Niedergang der Partei schreitet voran.
- Die besondere Zielstellung von rot-grün ist durchaus erstaunlich. Denn einerseits war es ja der Verrat der Grünen-Abgeordneten Twesten, der einst Neuwahlen hervorrief. Die große Koalition hat auch recht geräuschlos und effizient regiert, und die Einbindung einer bürgerlichen Partei wäre eine Möglichkeit, sie in die Mitverantwortung zu nehmen. Durch den parlamentarischen Ausfall der FDP ist dies nun nicht möglich Die Mehrheitsverhältnisse sind sehr knapp. Es bleibt zu beobachten, ob es nicht zumindest eine informelle parlamentarische Koalition gegen die AfD geben wird.
- Die Demographie entscheidet immer stärker Wahlen. 44% der Menschen über 70 gaben der SPD ihre Stimme, und das treibt dann die Prozente hoch. Dasselbe gilt für die Union. Genau das ist aber auch das Dilemma der beiden ehemaligen Volksparteien: sie sind bei den Älteren stark, aber es kommen unten zu wenige Wählerinnen und Wähler nach. Dieser schleichende Erosionsprozess zeigt sich allerdings noch nicht im Wahlergebnis.
- Bernd Althusmann ist ein Ehrenmann. Er hat vorher angekündigt, dass er, wenn er es nicht erreicht die CDU zur stärksten Kraft zu machen, sein Amt als Landesvorsitzender niederlegen wird. Und er hat genau das getan, und es mit Selbstkritik, sowohl mit persönlicher und auch politischer Selbstkritik an der Regierungsperformanz der CDU im Bund verbunden. Dies war nicht der übliche Politsprech, sondern Klartext, und glaubwürdig. Damit hat er seiner Partei einen Gefallen getan.