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Die AfD ein Jahr vor der Bundestagswahl

Von der Professorenpartei zur Ressentimentpartei, oder: von Lucke zu Höcke

Die Alternative für Deutschland wurde erst Anfang 2013 gegründet, insbesondere als wirtschafts- und rechtsliberale Protestpartei gegen die Euro- und Griechenland-Rettungspakete. Sie bestand ganz am Anfang vorwiegend als Akademikern, darunter viele Wirtschaftsprofessoren wie Bernd Lucke und Joachim Starbatty. Auch Prominente wie der ehemalige Chef des Bundes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf-Henkel, gesellten sich dazu. Daher konnte die AfD anfangs legitimerweise als Professorenpartei bezeichnet werden (Lewandowski/Giebler/Wagner: 2016) Im Bundestag herrschte in diesen Fragen der Euro-Rettung im bürgerlichen Lager Einigkeit, so dass es auch einen Bedarf an einer anderen Position gab.

Im Laufe der Zeit fand jedoch eine Radikalisierung der Partei statt, die ihren ersten Ausdruck in der Abwahl Bernd Luckes beim Parteitag in Essen 2015 fand (Fuchs/Middelhoff 2019: 15). Mit Bernd Lucke verließen auch viele moderate Mitglieder die Partei, und dadurch, dass diese jetzt zunehmend auch ausländerfeindliche, islamophobe und nationalistische Positionen vertrat, wurde sie immer weiter nach rechts gerückt (von Lucke: 2016).

Insbesondere durch den weiteren Machtbeginn des nationalistischen „Flügels“ um den Frontmann Björn „Bernd“ Höcke ist die AfD mittlerweile nicht mehr nur eine rechtspopulistische, sondern in Teilen auch rechtsextremistische Partei geworden (Decker 2018: 27). Da die AfD eine grundlegend andere, autoritäre Gesellschaft möchte, wird sie auch als eine autoritär-nationalradikale Partei politisch eingeordnet (Heitmeyer: 2018).

Die „Flüchtlingskrise“ als Grundlage des politischen Aufstieges

Die Ankunft etwa einer Million Geflüchteter nach Deutschland 2015 hat die AfD politisch schwer bekämpft. Gleichzeitig wurden die Ereignisse von ihrem damaligen Vorsitzenden Alexander Gauland als ein „Geschenk“ bezeichnet. Und in der Tat lässt sich auch empirisch eine breite Mobilisierung seitens der Alternative für Deutschland gegen die Ankunft von Geflüchteten feststellen (Geiges: 2018).

Die AfD hat hier die Sicherung der Grenzen gefordert und die Abschließung Europas, und den Begriff „Festung Europa“ offensiv reklamiert (von Lucke 2015: 46). Sie hat damit das getan, was zum klassischen Repertoire rechtspopulistischer Parteien gehört, nämlich verloren gegangene nationale Souveränität wieder herstellen zu wollen (Della Porta 2017: 65). Sie versprach, die Kontrolle wieder herzustellen und damit Sicherheit in unsicheren Zeiten zu geben (Koppetsch: 2019; Heitmeyer: 2018). Und sie polarisierte mit einer starken Wir-gegen-die-Rhetorik (Ötsch/Horaczek: 2017)

Die AfD hat gehoben, was bereits da war, und befeuert es nun

Mit der Alternative für Deutschland kamen nicht etwa die Ressentiments und die Ausländerfeindlichkeit hervor, sondern es hat sie in der Bevölkerung immer in Größenordnungen gegeben (Eribon: 2016). Gemäß der Studienreihe zu den „deutschen Zuständen“ von Wilhelm Heitmeyer konnte immer davon ausgegangen werden, dass etwa 15-20% der Menschen hierzulande ein rechtes oder geschlossen rechtes Weltbild haben (Heitmeyer: 2018).

Der Unterschied zu früher ist allerdings, dass eine Partei, welche zunehmend auch als Ressentimentpartei agiert (Olschanski: 2016), diese Wählerinnen und Wähler an sich binden kann. Dadurch, dass die CDU unter Merkel frühere Positionen (Atomkraft, Wehrpflicht) geräumt oder aus der Sicht mancher Wählerinnen und Wähler nicht mehr konsequent genug verfolgt hat (innere Sicherheit, Grenzschutz), entstand Platz rechts der Union (Hebel: 2017). War die NPD vielen aufgrund ihres offenen Nazismus zu krass, so hatte die AfD gerade durch ihre professoral-bürgerlichen Anfänge eine entsprechende Wählbarkeit, und sie bedient jetzt ihr Klientel sehr effektiv über social media (Hillje: 2018)

Programmatische Unschärfe und Uneinigkeit der AfD

Eines der wesentlichen Probleme der AfD ist, dass sie zwar ziemlich genau artikulieren kann, wogegen sie ist (Ausländer, Geflüchtete, Islam, Verlust nationaler Souveränität), aber kaum wofür. Insbesondere in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gegen die Vorstellungen weit auseinander. Jörg Meuthen würde am liebsten die gesetzliche Rente abschaffen und eine Marktlösung bevorzugen, Björn Höcke hingegen eine Erhöhung der staatlichen Rente, aber eben nur für Deutsche. Diese programmatischen Konflikte sind eigentlich nicht auflösbar, wurden durch Corona nur vertagt, und auch Alexander Gauland hat als die verschiedenen Strömungen integrierende Persönlichkeit deutlich an Ausstrahlung gewonnen.

Zurechtgestutzt durch die Beobachtung des Verfassungsschutzes

Die Überwachung durch den Verfassungsschutz hat der AfD mehr geschadet, als sie zugeben möchte. Denn zumindest für den bürgerlichen Teil ihrer Wählerinnen und Wähler ist es wichtig, dass sie zwar rechts, aber eben immer noch auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist. Genau diese Beobachtung aber zeigt, dass sie es eben in erheblichem Maße nicht ist, und wirkt abschreckend. Ebenso erfreut sich die AfD ja gerade in Kreisen der Polizei sowie des Militärs erhöhten Zuspruchs. Wenn diese allerdings wissen, dass die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird, so werden sich hier auch einige aus Karrieregründen dann doch fernhalten.

Die Strategie, sich nach außen bieder zu geben, aber gleichzeitig radikal in den Forderungen zu sein, um dadurch sowohl konservative als auch rechte Wählerinnen und Wähler an die Partei zu binden, geht seitdem nicht mehr auf, und das schadet der AfD.

Dethematisiert, zerstritten abgestürzt, aber wahrscheinlich dennoch vor einem Comeback

In letzter Zeit hatte die Alternative für Deutschland viele Negativschlagzeilen. Insbesondere der Streit um den Ausschluss des ehemaligen brandenburgischen Fraktionsvorsitzenden sowie Spitzenkandidaten im Wahlkampf, Andreas Kalbitz, zeigte, wie zerstritten diese Partei ist, und welche Umgangsformen in ihr herrschen. Gerade auch wie dieser Streit ausgetragen wird (Beispielformulierung: „Du bist Parteikrebs, Junge“) wirkt gerade für Konservative abstoßend.

Gerade jetzt in der Coronakrise war die Partei massiv dethematisiert, denn ihr Kernthema, Migration, fand nicht statt, bis auf Erntehelfer. Der Versuch, mit der Plattform „Widerstand 2020“ die Proteste zu okkupieren, scheiterte, auch an einem dilettantischen Vorgehen (vgl. von Lucke: 2020). Jetzt stellt sich die Partei zunehmend an die Seite der Corona-Proteste. Dies kann einerseits hier neue Wähler erschließen, andererseits lehnt die übergroße Mehrzahl diese Proteste ab.

Jedoch ist davon auszugehen, dass es durch die Coronakrise zu erheblichen sozialen, ökonomischen und politischen Verwerfungen kommt. Die Arbeitslosigkeit wird ansteigen, Abstiegsängste werden größer und Verteilungskämpfe werden härter. Und genau von einer solchen krisenhaften Situation dürfte die AfD profitieren, die dann erwartbar rechtspopulistische Rhetorik bedienen und Neid schüren wird. Vor allem ist davon auszugehen, dass die AfD diese globale Krise nutzen wird, um ein Rückkehr zum Nationalen zu fordern, und dafür zumindest einige Resonanz bekommen dürfte.

SWOT-Analyse der AfD

Stärken:

  • Hohe Präsenz und Resonanz in den sozialen Netzwerken (Hillje: 2018)
  • Starke Wahlergebnisse in den ostdeutschen Ländern
  • Direkte und unvermittelte Kommunikation mit Millionen von Wählerinnen und Wählern über eigene Plattformen
  • Mediale Aufmerksamkeit generieren
  • Programmatische Vagheit, die sie anschlussfähig in verschiedene Wählerschichten macht
  • Eigenes politisches Framing, Bsp. „Trau dich, Deutschland“ „Vollende die Wende“

Schwächen:

  • Programmatische Vagheit, welche sie für moderate, pragmatische Wählerinnen weniger wählbar macht
  • Überwachung durch den Verfassungsschutz: hierzu bisher keine kluge Strategie gefunden, und es schreckt Wählerinnen und Wähler ab
  • Regelmäßige Skandale, die abfärben können
  • Professionelles Konfliktmanagement
  • Rohheit innerparteilicher Umgangsformen ist abschreckend für bürgerliche Wählerinnen und Wähler

Chancen:

  • Soziale Verwerfungen der Coronakrise von rechts ausschlachten
  • Neue Fluchtbewegungen als Folge der Coronakrise, die zu einer erneuten politischen Mobilisierung führen
  • Neue Geschlossenheit durch gemeinsame, geteilte Feindbilder im Wahlkampf
  • Durch Befreiung von Nazi-Altlasten erhöhte Wählbarkeit für Mitte-Rechts-Wählerinnen und -wähler

Risiken:

  • Dass die Coronakrise von der Großen Koalition gut bewältigt wird
  • Friedrich Merz als Kanzlerkandidat der CDU würde Stimmen kosten.
  • Dass die Grenzen immer noch weitgehend geschlossen sind, und sie damit in ihrem Haupttema dethematisiert sind
  • Dass es eine Spaltung der Partei in den „Flügel“ und den Rest gibt
  • Dass die Querelen rund um den Parteiausschluss von Andreas Kalbitz nachhaltig das negative Bild der Partei prägen

Prognose: Klarer Wiedereinzug in den Bundestag, aber leicht geschwächt mit 11 Prozent

Literatur:

Decker, Oliver (2018). Flucht ins Autoritäre. In Decker, Oliver/Brähler, Elmar (Hg). Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Gießen: Psychosozial Verlag. S. 15-58.

Della Porta, Donatella (2017). Progressive und regressive Politik im späten Neoliberalismus. In Geiselberger, Heinrich (Hg.). Die Große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit. Berlin: Suhrkamp.

Eribon, Didier (2016). Rückkehr nach Reims. Berlin: Edition Suhrkamp.

Fuchs, Christian/Middelhoff, Paul (2019). Das Netzwerk der Neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern. Hamburg: Rowohlt.

Geiges, Lars (2018). Wie die AfD im Kontext der „Flüchtlingskrise“ mobilisierte. Eine empirisch-qualitative Untersuchung der „Herbstoffensive 2015“. Zeitschrift für Politikwissenschaften, 1, S. 49-69.

Hebel, Stephan (2017). Angela Merkel: Die Geburtshelferin der AfD. Blätter für deutsche und internationale Politik, 8, S. 81-89.

Heitmeyer, Wilhelm (2018). Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung. Berlin: Suhrkamp.

Hillje, Johannes (2018). Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen. Bonn: Dietz Verlag.

Koppetsch, Cornelia (2019). Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. Bielefeld: transcript.

Lewandowsky, Marcel/Giebler, Heiko/Wagner, Aiko (2016). Rechtspopulismus in Deutschland. Eine empirische Einordnung der Parteien zur Bundestagswahl 2013 unter besonderer Berücksichtigung der AfD. Politische Vierteljahresschrift, 2, S. 247-275.

Olschanski, Reinhard (2016). Die Politik des Ressentiments. Blätter für deutsche und internationale Politik, 11, S. 43-48.

Von Lucke, Albrecht (2020). Widerstand 2020: Wer reitet die Corona-Welle? Blätter für deutsche und internationale Politik, 6, S. 5-8.

Von Lucke, Albrecht (2016). Der Wille zur Feindschaft. Blätter für deutsche und internationale Politik, 7, S. 5-8.

Von Lucke, Albrecht (2015): EU in Auflösung? Die Rückkehr von Grenzen und die populistische Gefahr. Blätter für deutsche und internationale Politik, 10, S. 45-54.