Einführung: Die Nr. 1 der Charts und der Polarisierung
Der Song „Layla“ von DJ Robin und Schürze steht derzeit an der Spitze der deutschen Charts. Ursprünglich war er ein Ballermann-Partysong, und wurde insbesondere im „Bierkönig“ auf Mallorca gern gespielt. Nachdem der Song jetzt allerdings für Volksfeste sowohl beim Kilianifest in Würzburg als auch in Düsseldorf untersagt wurde, ist er breit in der Diskussion. Weitere Städte könnten folgen, und es hat eine erhitzte Diskussion ausgelöst, erstens ob dieser Song sexistisch ist, zweitens ob es richtig ist ihn zu verbieten, und drittens ob dies nicht Ausdruck einer bestimmten Form von Zensur sei. Wahrscheinlich hat genau dieser Diskurs auch zum kommerziellen Erfolg des Songs beigetragen, ein Streisand-Effekt (wenn bestimmte Sachverhalte unter Verschluss gehalten werden, bekommen sie erst Recht Öffentlichkeit) sondergleichen. In diesem Essay soll aufgezeigt werden, dass die Ursachen der Polarisierung viel tiefer liegen, dass der Diskurs um „Layla“ nur ein Symptom verschiedener zeitgenössischer gesellschaftlicher Spaltungslinien und Kulturkämpfe ist, und dass wir als Gesellschaft dankbar dafür sein können, dass um dieses Thema so erbittert gestritten wird, nicht um andere Sachverhalte.
Ist „Layla“ sexistisch?
Diese Frage zu klären, setzt erst einmal eine Definition von Sexismus voraus. In einer Pilotstudie zu Sexismus im Alltag, herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend heißt es auf Seite 8 über Sexismus, er sei ein „Sammelbegriff für verschiedene Formen der Übergriffigkeit und Herabwürdigung des anderen Geschlechts“ (BMFSJ 2008: 8). Ebenso heißt es auf derselben Seite, dass mediale Kunstprodukte, die in instrumentalisierender Weise männliche oder weibliche Personen stilisieren, Ausdruck von Sexismus im Alltag darstellen (BMFSJ 2008: 8). Vor allem wenn Sexismus allerdings als Reduktion eines Menschen auf dessen bzw. deren Körperlichkeit verstanden wird, ist „Layla“ definitiv sexistisch, denn diese Kunstfigur wird mit dem Trikolon „Jünger, schöner, geiler“ charakterisiert.
Die Tatsache, dass „Layla“ in diesem Song eine Puffmutter darstellt, kann als sexistisch verstanden werden, da bei Prostitution in vielen Fällen nicht von einem freiwilligen Akt, sondern von ökonomischen, psychologischen oder anderen Abhängigkeitsverhältnissen und Asymmetrien auszugehen ist und innerhalb der Prostitution Menschen objektiviert sowie zur käuflichen Ware (vgl. Marx: 1977) gemacht und somit erheblichst reduziert werden.
Was hingegen den Sexismusvorwurf schwieriger begründbar macht, ist das Faktum, dass in dem Video die Puffmutter „Layla“, welche ja ohnehin eine fiktionale Figur ist, durch einen Transvestiten dargestellt wird, und diese Person ja auch affirmiert wird „Die wunderschöne Layla, la la la la la la Layla“ (Robin/Schürze: 2022). Insgesamt kann allerdings davon ausgegangen werden, dass der Song reduktionistisch ist und als strukturell sexistisch einzustufen ist. Genau deshalb ist der Song eben auch problematisch, und daher der Untersagungsdiskurs auch legitim.
„Layla“ und das multiple Kommensurabilitätsproblem
Das Untersagen des Abspielens von Liedern seitens staatlicher Institutionen ist als gravierender politischer Eingriff zu werten, der auch rechtlich nicht unproblematisch ist, da damit die Kunstfreiheit gemäß Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes infrage gestellt wird. Daher stellt sich tatsächlich die Frage, inwieweit es bei „Layla“ einen gravierenden Unterschied zu anderen Songs gibt. Und hier ergibt sich ein multiples Kommensurabilitätsproblem, da es gerade hinsichtlich des Sexismus deutlich drastischere Texte gibt, die keinerlei Einschränkung verkraften mussten.
Es wurde in der Diskussion vielfach auf Rapsongs verwiesen, die deutlich härter in ihren Texten sind. Dies ist soweit korrekt und soll an einem Beispiel klar illustriert werden. So heißt es gleich zu Beginn des Songs „Pimplegionär“ von Kool Savas aus dem Jahre 2012 wortwörtlich:
„Ich mach auf künstlich interessiert und Nutten denken ich bin nett
Doch wenn ich fertig bin mit rammeln, sieht dein Loch aus wie Kotelette, Fotze!
Genug gesabbelt, lass uns ficken bis es knallt
Steck‘ die Zunge in mein Arschloch und ich scheiss dir in den Hals“
(Kool Savas: 2012)
Die Explizitheit des Sexismus, die massive Abwertung von Frauen und die tatsächliche körperliche Erniedrigung spielen moralisch in einer ganz anderen Liga, als dies bei „Layla“ der Fall ist. Genau genommen wird hier auch zur Körperverletzung gegenüber Frauen aufgerufen. Solche Beispiele aus Rapsongs, die nicht mit staatlichen Sanktionen belegt wurden, sind Legion.
Doch auch im Bereich des Punk gibt es Songs, die deutlich expliziter sexistisch sind, und die bei großen Festivals wie dem „With Full Force“ mehrfach ohne Restriktionen liefen. So heißt es wörtlich im Song „Rudelfick im Altersheim“ der Band „Die Kassierer“
„Aus der Scheide tropft der Schleim
Kurz vor dem Totenschein gibt´s
Den Rudelfick im Altersheim
Mein Opa kriegt hinten einen rein
Beim Rudelfick im Altersheim“
(Die Kassierer: 1999).
Natürlich kann hier argumentiert werden, dass dies Punk sei, die Inhalte ergo nicht so ernst zu nehmen sind. Dass daher auch dieser Text, welcher sogar Sexismus mit Altersdiskriminierung kombiniert und ganz sicher mehrheitlich als abstoßen erlebt wird, nicht ernst zu nehmen ist. Darauf kann sich allerdings auch ein Partysong aus dem Bierkönig in Mallorca berufen, denn wenn dort jemand „zehn nackte Friseusen mit richtig feuchten Haaren“ (Mickie Krause: 2003) möchte, ist dies wohl auch nicht wortwörtlich zu verstehen.
Es wurde argumentiert, dass bei Volksfesten, gerade in alkoholisierter Stimmung, Songs auch als direkte Belästigung seitens der Frauen empfunden werden können, oder diese diskriminierende oder sexistische Handlungen wenn auch nicht hervorrufen, so aber doch begünstigen könnten. Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen, da Alkohol enthemmende Wirkungen hat, und somit auch Ressentiments, aber auch gruppenbezogen menschenfeindliche Handlungen und Einstellungen wahrscheinlich werden. Ebenso findet psychologisch ein Priming, eine gedankliche Bahnung statt (Pendry 2014: 112).
Allerdings stellt sich denn, als weiteres Vergleichbarkeitsproblem, die Frage, warum große öffentliche Räume für eine Band wie Rammstein geöffnet werden, die in ihrem jüngsten Album „Zeit“ einen Song veröffentlicht haben, der den einschlägigen Titel „Dicke Titten“ trägt. In diesem heißt es, Zitat: „Muss sie nicht schön sein
Sie muss nicht klug sein
Nein
Sie muss nicht reich sein
Doch um eines möchte ich bitten
Dicke Titten“
(Rammstein: 2022)
Hier liegt ein Reduktionismus a la carte vor, diesmal sogar auf ein Körperteil. Daher ist dieser Song definitiv sexistisch, und wohl deutlich sexistischer als „Layla“. Dennoch sind keine Auflagen für Rammstein-Konzerte bekannt. Natürlich ließe sich argumentieren, dass es ja eine bewusste Entscheidung ist, zu einem Rammstein-Konzert zu gehen, und man dafür ja auch extra zahlt, das also faktisch eine private Veranstaltung ist. Da jedoch Rammstein-Konzerte meist kilometerweit zu hören sind, sind diese faktisch eine öffentliche Veranstaltung. Das Grundproblem ist also: in multiplen Vergleichen, zu verschiedenen Genres, gibt es viel expliziteren Sexismus und dennoch keine Restrik-tionen. Genau das führt zu einem verletzten Fairnessempfinden (Haidt: 2012) in Bezug auf „Layla“.
„Layla“ und die große Gereiztheit
Die Aufregung um diesen Song kann in einen theoretischen Rahmen gebraucht werden durch das Buch „Die Große Gereiztheit“ von Bernhard Pörksen aus dem Jahre 2019. In diesem Buch beschreibt er, wie in unserer heutigen Gesellschaft Diskurse immer stärker personalisiert, emotionalisiert und mit gegenseitigen Abwertungen verbunden werden (Pörksen: 2019). Dies war insbesondere in der Pandemie zu besichtigen (vgl. Decker: 2020), als sich Befürworter*innen und Gegner*innen der Anti-Corona-Maßnahmen gegenseitig als „Covidioten“, „Regierungsknechte“ und vieles weitere beschimpften.
Kernmechanismen dieser großen Gereiztheit sind die Verbreitung und Beschleunigung (Rosa: 2013) der Diskurspraktiken sozialer Netzwerke, in denen insbesondere emotionale, einfache und reißerische Botschaften eine besondere Resonanz entfalten (Pörksen/Schulz von Thun: 2020; Pörksen: 2019; Hillje: 2018). Hinzu kommt die zunehmende gedankliche Selbstorganisation in moralischen, informatorischen und wertebezogenen Filterblasen(vgl Schaeffer: 2018), die ein gegenseitiges Verständnis immer schwerer machen. Ebenso findet zunehmend eine Argumentation mit Bezug aud die Person, nicht auf das Argument statt, und dies wird häufig zur klaren Abgrenzung mittels Abwertungen vollzogen (Pörksen/Schulz von Thun: 2020; Pörksen: 2019). Zudem haben wir es, gerade aufgrund dieser digitalen Selbstorganisation in gedanklich homogene Gruppen, in einem immer stärkeren Maße mit Tribalismus zu tun, also einer Form von Stammesdenken (vgl.Stenner:2005), bei der anders denkende und handelnde Gruppen abgewertet werden, einerseits zur identifikatorischen Selbstvergewisserung mittels Abgrenzung, aber auch zur Selbstaufwertung durch Fremdabwertung, was dann in der Konsequenz die ohnehin bestehende Große Gereiztheit nur noch verstärkt (Pörksen: 2019). Wir haben es zudem mit einer Gleichzeitigkeit von Hypermoral und Enthemmung zu tun, die sich jeweils gegenseitig befeuern und irritieren, und eine temperierte Auseinandersetzung über moralische, ethische und politische Fragen wird immer unwahrscheinlicher (Pörksen/Schulz von Thun:2020; Pörksen: 2019).
Genau an dieser Stelle kommt nun „Layla“ ins Spiel. Es stehen sich auf der einen Seite diejenigen gegenüber, die sprachliche Sensibilität wichtig finden, jedwede Form von Diskriminierung (ergo auch Sexismus) grundsätzlich ablehnen und allen Arten der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im öffentlichen Raum Einhalt zu gebieten. So kann auch die Motivation hinter den Beschlüssen in Würzburg und Düsseldorf verstanden werden. Nicht ohne Klassismus wird dann auf diejenigen geschaut, die diesen Song spielen und affirmativ feiern. Der Imperativ der Nichtdiskriminierung kann als eine neue Pflichtenethik der neuen akademischen Mittelklasse verstanden werden (Reckwitz: 2020; Reckwitz: 2018).
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, welche die ganze Aufregung nicht verstehen können, die einfach nur feiern wollen, die den Song witzig finden, aber auch Menschen, die den Lyrics eines Songs keinerlei Bedeutung beimessen, insbesondere mit 3/8 im Turm, wie es im Bierkönig in Mallorca nicht ganz unwahrscheinlich ist. Sie verweisen einerseits darauf, dass die Einschränkung des Songs unverhältnismäßig sei und inkonsistent im Vergleich zu anderen Songs, dass man ja selbst entscheiden kann, ob man auf Veranstaltungen geht, wo das gespielt wird, und dass es überhaupt eine Einschränkung der musikalischen Freiheit ist und die anderen eben „Spaßbremsen“, „Spielverderber“ und „Gutmenschen“ sind. Der Sexismus des Songs wird entweder negiert oder gedanklich marginalisiert.Nun ist der Punkt jener, dass es eben für beide Seiten gute Argumente gibt, beide Seiten sogar auf den gleichen Grundwert rekurrieren (Meinungsfreiheit/Kunstfreiheit vs.Diskriminierungsfreiheit), sich aber gleichzeitig gegenseitig bezichtigen und abwerten. Das Problem ist, dass es um eine binäre Handlung geht: entweder wird der Song gespielt, oder eben nicht. Eine strukturelle Anerkennung beider Positionen ist praktisch nicht möglich, daher wird der Diskurs unerbittlich. Die Große Gereiztheit ist vollends zu beobachten, und „Layla“ das Symptom.
Die Koinzidenz von Postpandemie, Reaktanz, Anti-Establishment-Populismus, Misogynie und Sommerloch
Warum jedoch ausgerechnet bei diesem Song die Wellen derart hochschlagen, erklärt sich noch nicht ganz. Vorherige Themen von Kulturkämpfen, die mittels großer Gereiztheit ausgetragen wurden und werden, waren der Diskurs ums Gendern in der Sprache, die Umbenennung von Straßennamen, und im internationalen Kontext die Debatten um Denkmäler von Figuren, die für die Kolonialzeit prägend waren. Jedoch gab es kaum etwas, das ein vergleichbares Aufregerpotenzial zu „Layla“ hatte,und weshalb dieser Song paradigmatisch symptomatisch für die Große Gereiztheit ist.
Hier soll die These vertreten werden, dass es viele verschiedene Faktoren auf einmal waren, eine besondere Form von Koinzidenz, die ausgerechnet diesen Song so stark in den Fokus rückten.
Erstens mussten in der Pandemie viele Freiheitseinschränkungen ertragen werden, teils auch sehr elementarer Natur, und dies hat sowohl die Motivation als auch die Willenskraft (vgl. Rheinberg: 2002) zu weiteren Freiheitseinschränkungen massiv reduziert. Es ist eher ein Grundgefühl, dass jetzt endlich mal Schluss sein muss mit Freiheitseinschränkungen, und mitten in dieses Gefühl trifft der Diskurs um „Layla“, und wird mit entsprechenden intuitiven Abwehrreflexen beantwortet.
Zweitens kennen wir aus der Gefühl das grundlegende Gefühl der Reaktanz, das heißt dass auf gefühlte Einschränkungen der Freiheit mit erheblichem Gegengefühl geantwortet wird. Dies ist insbesondere dann ausgeprägt, wenn wir die angeführten Gründe, den Sinn einer Freiheitseinschränkung nicht verstehen können oder wollen (vgl. Stroebe: 2014; Haidt: 2012). Die Untersagung des Abspielens von „Layla“ hat eine entsprechende Reaktanz getriggert und somit erhebliche Ressentiments freigesetzt, jedenfalls wenn man sich die einschlägigen Kommentare auf den digitalen Plattformen anschaut.
Drittens ist die Kritik am Verbot von „Layla“ auch hervorragend mit dem Prinzip des Populismus zu erklären. Denn Populismus geht ganz grundsätzlich von einer Entgegensetzung von „Volk“ und „Elite“ aus (, wobei die Elite moralisch korrumpiert sei und wesentlich ihre eigenen Interessen verfolge (Müller: 2016). Genau daraus resultierend ist eine Anti-Establishment-Haltung (Greven: 2021; Bohrmann/Lux/Rosa: 2018) konstitutiv für den Populismus, selbst dann noch, wenn Populisten die Macht übernehmen und dann definitiv Teil des Establishments sind. Wenn also nun die gefühlte Elite, also der Stadtrat, dem Volk „Layla“ verbietet, dann werden somit ohnehin bestehende Anti-Establishment-Haltungen massiv mobilisiert und aktiviert. Es ist daher insbesondere zu erwarten, dass die rechtspopulistische AfD das Thema weiter ausschöpfen wird, und es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass die BILD dieses Thema in den letzten Tagen ganz groß aufhängte.
Viertens haben wir es in unserer Gesellschaft mit einem substanziellen Frauenhass zu tun, mit einer Abwertung oder Reduktion von Frauen, einer entsprechenden Misogynie. Auch diese Grundhaltung wird bedient durch einen Song über eine Puffmutter. Denn die Reduktion einer Frau einerseits auf ihre Körperlichkeit, andererseits ihre Dienstbarkeit gegenüber Männern, verträgt sich hervorragend mit misogynen Einstellungen.
Fünftens haben wir uns schlimmerweise selbst an den Ukrainekrieg gewöhnt, und es ist jetzt langsam Sommerpause, in dem aus kommerziellem medialem Eigeninteresse grundlegend gern auch abseitige Themen besonders hochgejazzt werden, so wie es jetzt auch wieder zu besichtigen ist.
Dies alles bedeutet, dass fünf verschiedene Faktoren zusammenkamen, die zu dieser besonderen Gereiztheit durch „Layla“ geführt haben. Vieles von dem war ohnehin da, und vieles hat sich vorher an den Pandemiepolitiken abgearbeitet. Nachdem dies jetzt aber, zumindest gefühlt und nicht pandemisch real durch ist, wird nun auf das Pferd „Layla“ draufgesattelt. Dadurch allerdings, dass Reaktanz, generalisiertes Institutionenmisstrauen, Misogynie sowie ein ausgeprägter gedanklicher Tribalismus ohnehin vorhanden sind, werden wir noch viele „Laylas“ erleben. Sie sind der Preis der gesellschaftlichen Polarisierung und der daraus resultierenden Großen Gereiztheit.
Das Metaproblem der ungeklärten Prostitutionsfrage
Ein ganz anderer, spezifisch mit diesem Song zusammenhängender Faktor kommt allerdings noch hinzu: die in Deutschland moralisch und politisch ungeklärte Prostitutionsfrage. Einerseits ist Prostitution legal, andererseits ist sie verpönt, und durch das Prostitutionsschutzgesetz gab es erst in sehr jüngster Zeit einen Versuch der staatlichen Regulatorik für das älteste Gewerbe der Welt.
Insbesondere durch die weitgehend funktionierende schwedische Policy, welche Freier bestraft und Prostitution grundsätzlich verbietet (=“schwedisches Modell“), hat die faktische Akzeptanz von Prostitution qua Legalität noch einmal eine andere Art von moralischem Diskredit erhalten. Moralisch wird der freiwillige und selbstbestimmte Akt der Prostitution meistens nicht als das Problem angesehen (selbst in einigen Strömungen des Feminismus, der besonders sexismussensibel ist). Nur widerspricht dies der Erfahrung eines Arbeitsmarktes, der durch hochgradige Hierarchien, Asymmetrien, Fremdbestimmung und nicht selten auch durch Gewalt geprägt ist. Wenn auf dieses schwelende politische und moralische Unbehagen dann noch eine Affirmation einer Puffmutter draufgesetzt wird, verstärkt es dieses Unbehagen zusätzlich. „Layla“ hat uns wie in einem Brennglas aufgezeigt, dass unser gesellschaftlicher Diskurs um Prostitution eben noch nicht entschieden ist. Genau das ist eine weitere Tiefenschicht der Erregung und politisch das Metaproblem. Denn hätten wir eine geklärte Haltung dazu, wie wir gesellschaftlich bzw.politisch zur Prostitution stehen, so könnte man die schiere Existenz von „Layla“ klar kategorisieren. Dies geht heute nicht, und das Feiern einer Puffmutter ist das genaue Gegenteil zum teils empfundenen Unbehagen mit der Prostitution, insbesondere in den sexismussensitiven Milieus der Gesellschaft.
Das progressive Potenzial von Layla und die resultierende Ambivalenz
Doch nicht nur die Prostitution ist eine Institution voller Ambivalenzen, sondern auch die Kunstfigur „Layla“ selbst. In den reinen Lyrics ist es eine Frau, aber im Video ein Transvestit, somit eine Person der LGBTIQ-Community (Lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, intersexuell etc.).
Diese Person selbst ist also in dem Video Teil der strukturellen Unterdrückung von Frauen, sofern sie eine Puffmutter ist, und gleichzeitig ist Layla Teil einer marginalisierten Gruppe, wird aber dennoch umfassend affirmiert, ihre Rolle als Puffmutter hingegen keineswegs problematisiert. Jedenfalls ist davon auszugehen, da nicht ihre charakterlichen Qualitäten besungen werden, sondern ihre optischen Attribute („jünger, schöner, geiler“). Das bedeutet, eine zumeist unterdrückte Subjektivität ist jetzt Teil einer strukturellen Unterdrückung, was eine zunächst auszuhaltende Ambivalenz darstellt. Viel schwieriger wird es jedoch in der Einordnung, da sowohl DJ Robin als auch Schürze, zwei Cis-Männer (=männlich, weiß, deutsch, hetero) wie aus dem Bilderbuch, Layla komplett affirmieren, auch mit ihr interagieren(samt protoerotischer Handlungen an ihrem Bein) und sich, innerhalb von ihrem Duktus und Wertesystem, ausschließlich positiv über sie äußern. Dies kann problemlos als eine Trans-Affirmation verstanden werden, und diese ist für sich genommen gesellschaftlich als progressiv zu werten. Genau das aber schmälert die Eindeutigkeit der sexismusbasierten Kritik, welche eine Konnotation der Geschlechtlichkeit hat. Denn einen Trans-Mann affirmierende Cis-Männer auf Platz 1 der Charts ist auch mehr als ungewöhnlich. Auch daraus ergibt sich eine tiefere Ambivalenz dieses Songs.
Fazit: Zum Glück regen wir uns nur über Layla auf
Was die Befürworter*innen von Layla in ihrem Diskurs massiv überzeichnen, ist, dass der Song „verboten“ werden soll. Er soll nur nicht bei bestimmten Festen, die sich selbstbestimmt dagegen entscheiden, nicht gespielt werden. Privat kann jede und jeder Layla hören und streamen ad infinitum, und das geschieht ja auch, wie die Charts zeigen. „Layla“ ist das Symptom sowohl der Großen Gereiztheit als auch des Kulturkampfes zwischen der progressiven neuen Mittelklasse und der den Status Quo wahrenden, tendenziell einer Retrotopie (= das Glück in einer vermeintlich glorreichen Vergangenheit suchenden; Bauman: 2017) anhängenden alten Mittelklasse (Reckwitz:2018), denn: „Früher hätte sich niemand über so was aufgeregt“.
Natürlich gibt es viel wichtigere Themen in Deutschland, und natürlich gibt es viel mehr Themen, die viel mehr Streit verdient hätten: wie fangen wir die Folgen der Sanktionen ab? Was tun wir, um die jetzt drastisch spürbaren Auswirkungen des Klimakrise effektiv zu bekämpfen? Was bedeutet die mit der Zeitenwende verbundene Militarisierung der Gesellschaft? All diese Fragen würden viel mehr substanziellen Streit, klare Interessengegensätze und politische Differenzen hervortreten lassen. Dass wir uns im Vergleich dazu nur über „Layla“ streiten, ist eigentlich beruhigend, denn das impliziert keinen manifesten Dissens in den wirklich gravierenden Fragen.
Verwendete Literatur und zitierte Lieder
Bauman, Zygmunt (2017).Symptome auf der Suche nach ihrem Namen und Ursprung. In Geiselberger, Heinrich (Hg.). Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit. Berlin: Edition Suhrkamp. S. 37-56.
Bohrmann, Ulf/Laux, Henning/Rosa, Hartmut (2018). Desynchronisation und Populismus. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 70(1), S.195-226.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020). Sexismus im Alltag. (2. Auflage). Berlin.
Decker, Frank (2020). Die Demokratie im Zeichen der Coronakrise. Chance oder Bedrohung? Zeitschrift für Politik, 2, S.124-133.
Die Kassierer (1999). Rudelfick im Altersheim.
DJ Robin/Schürze (2022). Layla. Universal Records.
Greven, Thomas (2021). Staatskrise mit Ansage. Die US-Republkaner vor der autokratischen Wende. Blätter für deutsche und internationale Politik, 8, S. 81-90.
Haidt,Jonathan (2012). The righteous mind. Why good people are divided by politics and religion. New York: Basic Books.
Hillje,Johannes (2018). Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen. Bonn: Dietz.
Kool Savas (2012). Pimplegionär. Album das bin ich Biaatch.
Marx, Karl (1977). Das Kapital. Band 1: Der Produktionsprozess des Kapitals. Berlin: Dietz.
Mickie Krause (2003). Zehn nackte Friseusen.
Müller, Jan-Werner (2016). Was ist Populismus? Ein Essay. (2. Auflage). Berlin: Edition Suhrkamp.
Pendry, Louise (2014). Soziale Kognition. In Stroebe, Wolfgang/Jonas, Klaus/Hewstone, Miles (Hg.). Sozialpsychologie. Berlin: Springer Wissenschaft. S. 107-140.
Pörksen,Bernhard/Schulz von Thun, Friedemann (2020). Die Kunst des Miteinander Redens. Über den Dialog in Politik und Gesellschaft. München: Hanser.
Pörksen, Bernhard (2019). Die Große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Hanser.
Rammstein (2022). Dicke Titten. Album Zeit
Reckwitz, Andreas (2020). Das Ende der Illusionen. Berlin: Edition Suhrkamp.
Reckwitz,Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin:Edition Suhrkamp.
Rheinberg, Falko (2002). Motivation.Stuttgart:Kohlhammer.
Rosa, Hartmut (2013). Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.
Schaeffer, Ute (2018). Fake statt Fakt. Wie Populisten, Bots und Trolle unsere Demokratie bedrohen. München: dtv
Stenner, Karen (2005). The authoritarian dynamic. Cambridge:Cambridge University Press.
Stroebe, Wolfgang (2014). Strategien zur Einstellungs- und Verhaltensänderung. In Stroebe,Wolfgang/Jonas, Klaus/Hewstone, Miles (Hg.). Sozialpsychologie.Berlin: Springer Wissenschaft. S. 231-268.