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Warum die Krise der Ampelkoalition eine ernste Demokratiekrise ist

Einleitung: Wenn progressive Absichten nicht einfach nur umgekehrt, sondern demokratisch gefährlich werden

Barack Obama begann sein Präsidentenamt mit großen Hoffnungen. Er wollte Hoffnung, Veränderung und Einheit bringen („hope, change, and unity“). Er wollte dieses ohnehin politisch zerrissene Land zusammenführen (Sandel: 2020; Brenner: 2016). Das Ergebnis dieses im Selbstanspruch progressiven demokratischen Präsidenten war: Donald Trump, und mit ihm spätestens seit dem Angriff auf das Kapitol am 06.01.2021 eine existenzielle Gefährdung der Demokratie (Greven: 2021).

In Deutschland ist die Koalition aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP laut Koalitionsvertrag und dem ersten Framing mit einem Versprechen angetreten: „Mehr Fortschritt wagen“ (SPD/Bündnis 90-Die Grünen/FDP: 2021). Das Ergebnis einer ganz aktuellen Umfrage aus Sachsen sagt: 36% AfD, 33% CDU, und die SPD nicht einmal mehr im Landtag vertreten.

Die Ampelkoalition ist in der Dauerkrise. Seit ihrer Gründung im Dezember 2021 hat sie immer wieder mit Problemen zu kämpfen. Die Koalitionspartner konnten sich bisher nicht auf eine gemeinsame Linie in wichtigen Fragen einigen. Dies führt zu lähmenden Stillständen und einer zunehmenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

Die Krise der Ampelkoalition ist nicht nur ein Problem für die Koalition selbst. Sie ist auch ein ernstes Problem für die Demokratie in Deutschland. Denn eine funktionierende Demokratie basiert auf der Zusammenarbeit der verschiedenen politischen Kräfte. Wenn diese Zusammenarbeit nicht mehr funktioniert, ist die Demokratie in Gefahr, da sie nicht genügend Handlungsfähigkeit hat und durch die Ergebnisse ihrer Arbeit politische Legitimation generieren kann. Davon profitieren insbesondere diejenigen, die unsere Demokratie abschaffen wollen (Heitmeyer: 2018; Levitsky/Ziblatt: 2018)

Mehrparteienregierungen als neuer, problematischer Normalfall

Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung, gekennzeichnet durch vielfältige soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen (Reckwitz: 2018), spiegelt sich zunehmend in politischen Systemen wider. 

Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung resultiert aus einer Vielzahl von Faktoren, darunter soziale Diversität, wirtschaftliche Spezialisierung und kultureller Pluralismus. Dies führt zwangsläufig zu einem breiten Spektrum politischer Meinungen und Interessen in der Bevölkerung. In Reaktion darauf entstehen Multiparteiensysteme, die die Vielfalt der Gesellschaft besser repräsentieren können. Anfang der 80er kamen die Grünen hinzu, mit der Wiedervereinigung die PDS (später: LINKE), seit 2017 sitzt die AfD im Bundestag und 2025 könnte noch das Bündnis Sahra Wagenknecht hinzukommen. Volksparteien im herkömmlichen Sinne gibt es aber kaum noch.

In den aus der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung resultierenden Multiparteiensystemen werden Mehrparteienkoalitionen zur Norm. Dies resultiert aus der Notwendigkeit, verschiedene Interessen und Perspektiven zu integrieren, um stabile Regierungen zu bilden. Die aktuelle politische Landschaft gerade in den Ländern ist geprägt von Koalitionen wie der Ampel, die aus unterschiedlichen Parteien zusammengesetzt sind.

Jedoch sind diese Koalitionskonstellationen grundsätzlich in mehreren Hinsichten problematisch. Mehrparteienkoalitionen sind oft gezwungen, Kompromisse einzugehen, um gemeinsame politische Ziele zu erreichen. Die politischen Differenzen zwischen den Koalitionspartnern können zu Spannungen führen und die Umsetzung effektiver Politik erschweren.

Persönliche Konflikte zwischen Führungspersönlichkeiten verschiedener Parteien innerhalb einer Koalition können die Zusammenarbeit beeinträchtigen. Ambitionen, Rivalitäten und persönliche Animositäten können die gemeinsame Agenda behindern. Das Paradebeispiel hierfür waren die persönlichen Differenzen zwischen Christian Lindner (FDP) und Angela Merkel, die maßgeblich die damals geplante Jamaika-Koalition verhinderten

Die Vielfalt der in Mehrparteienkoalitionen vertretenen Ideologien führt nahezu notwendig ideologischen Konflikten führen. Dies wurde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse sichtbar, da klar war, dass die Parteien sehr unterschiedliche Sparvorschläge hatten, die eigentlich unvereinbar waren.

Im Vergleich zu Alleinregierungen oder Zweiparteienkoalitionen stehen Mehrparteienkoalitionen vor Herausforderungen bei der Durchsetzung politischer Maßnahmen. Die Notwendigkeit, breite Konsensbildungen zu erreichen, führt zu Verzögerungen und ineffizienten Entscheidungsprozessen führen, was die politische Handlungsfähigkeit beeinträchtigt, und letztlich den sehr geringen Minimalkonsens zum politischen Output macht. Dieses Ergebnis sehen wir immer wieder in der Politik der Ampel, aber das ist ein sich verschärfendes Problem. Denn die bereits existierende Politikverdrossenheit (Pörksen: 2019) kann durch die vermeintliche Unfähigkeit von Mehrparteienkoalitionen, effektive Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu finden, weiter verstärkt werden. Bürger könnten das Gefühl haben, dass ihre Interessen nicht angemessen vertreten werden und dass politische Versprechen unerfüllt bleiben. Dies kann dann verheerende demokratische Konsequenzen haben (Hansson/Kröger: 2021)

Die Ampel als künftige Hypothek und das Problem der demokratischen Legitimation der AfD

Derzeit wird viel über die Ampel geschimpft. Jedoch besteht die Gefahr der Generalisierung. Nämlich der Annahme, dass jede Mehrfachkoalition genauso abliefern (bzw. nicht abliefern) wird wie die Ampel derzeit. Dies muss gar nicht der Fall sein, wie das Beispiel der geräuschlos funktionierenden Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz zeigt. 

Hinzu kommt, dass solange die Brandmauer der CDU gegen die AfD sowie ihr Unvereinbarkeitsbeschluss mit der LINKEN hält, letztlich immer nur vier Parteien die Regierung bilden können, nämlich CDU, SPD, Grüne und FDP. Das aber heißt, dass die kommenden Koalitionen auf Bundesebene sehr ähnlich sein werden, und immer wieder der Eindruck mittels negativer Generalisierung entstehen kann: die können es alle nicht. Das wiederum stärkt die Partei, die sowohl in parlamentarischer Opposition als auch in Systemopposition ist: die AfD.

Wenn allerdings der innere Grund einer Koalition die Verhinderung der AfD ist, aber nicht geteilte Werte oder ein gemeinsames politisches Projekt, dann wird erfahrungsgemäß das Regieren schwierig. Alle Kenia-Koalitionen in Ostdeutschland auf Landesebene sind hierfür ein beredtes Beispiel, und die Regierungskoalitionen nach den Landtagswahlen 2024 werden es erst recht sein.

Dies kann aber zu einer Situation führen, in der die AfD so stark wird, dass eine Regierungsbildung gegen sie gar nicht mehr möglich ist. Und genau dann ist die Demokratie in Gefahr. Denn die AfD will keine Demokratie, sie will einen autoritären Umbau von Staat und Gesellschaft, und sie ist im Bündnis mit Antidemokraten wie Wladimir Putin. Genau dies gilt es zu verhindern. 

Was kann getan werden, damit die Krise der Ampel nicht zu einer Demokratiekrise wird

Interessant ist immer auch, was getan werden kann, um dieser Demokratiekrise effektiv begegnen zu können. Hier sind fünf konkrete Vorschläge:

1. Stärkung der politischen Bildung: Die Bürgerinnen und Bürger müssen für die Herausforderungen der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung sensibilisiert werden. Sie müssen verstehen, dass es in einer vielfältigen Gesellschaft nicht möglich ist, eine Koalition zu bilden, die die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger vollständig befriedigt.

2. Konzentration auf gemeinsame Ziele: Die Parteien sollten sich stärker auf gemeinsame Ziele konzentrieren. Dies kann dazu beitragen, die Konflikte innerhalb der Koalition zu verringern. Es gibt im Koalitionsvertrag immer noch genug Projekte, mit denen sich die Ampelparteien profilieren können

3. Transparenz in den Koalitionsverhandlungen: Die Koalitionsverhandlungen sollten transparenter gestaltet werden. Die Bürgerinnen und Bürger sollten klar erkennen, wer wofür steht und was wem besonders wichtig ist. Denn besteht die Chance einer Differenzierung der einzelnen Parteien

4. Koalitionspräferenzen bei den Wahlen mit abfragen: Es gibt faktisch keine Chance mehr, dass eine Partei allein regiert, jedenfalls auf Bundesebene. Wir können die Zusammensetzung des Parlamentes wählen, allerdings nicht die konkrete Koalitionskonstellation. Welche es jeweils wird, entscheidet allerdings stark darüber, welche Politik gemacht wird. Dementsprechend sollte sie über mehr Inputlegitimation durch Wahlen verfügen. Es kann den Parteien nicht vorgeschrieben werden, wer mit wem koaliert. Allerdings kann eine Koalitionspräferenz auf dem Wahlzettel mit abgefragt werden. Dies erhöht natürlich denAufwand am Wahltag, was insbesondere Berlin überfordern kann. Mit einer konsequenten Digitalisierung wäre dies jedoch problemlos möglich. Auch die Wahlen selbst müssen nicht notwendig mit Papier und Stift erfolgen.

5. Klare Kommunikation der eigenen Politik: Gerade der Kanzler sollte viel stärker erläutern, was er warum macht, und warum nicht. Dies kann dem Sinndefizit der Ampelkoalition entgegenwirken.

Literatur: 

Brenner, Michael (2016). Hillary Clinton oder: Wie man das Weiße Haus verliert. Blätter für deutsche und internationale Politik, (4), S. 46-49.

Greven, Thomas (2021). Staatskrise mit Ansage: Die US-Republikaner vor der autokratischen Wende. Blätter für deutsche und internationale Politik, (8), S. 81-90.

Hansson, Sten/Kröger, Sandra (2021). How a lack of truthfulness can undermine democratic representation: The case of post-referendum Brexit discoruses. The British Journal of Politics and International relations, (4), S. 609-626.

Heitmeyer, Wilhelm (2018). Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung. Berlin: Edition Suhrkamp.

Levitsky, Steven/Ziblatt, Daniel (2018). How Democracies Die. New York: Crown.

Pörksen, Bernhard (2019). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Hanser.

Reckwitz, Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Edition Suhrkamp.

Sandel, Michael (2020). The tyranny of merit. What´s become of the common good? New York: Farrar, Strauss and Giroux.

SPD/Bündnis 90-Die Grünen/FDP (2021). Mehr Fortschritt wagen. Koalitionsvertrag 2021-2025.