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Warum Rechtspopulismus der Persönlichkeitsentwicklung schadet

Einleitung: Die Große Regression geschieht auch im Kleinen

Das verstärkte Aufkommen des Rechtspopulismus wurde in einem bedeutenden sozialwissenschaftlichen Sammelband als „Große Regression“ (Geiselberger: 2017) bezeichnet, und es wurden enorme zivilisatorische Rückschritte konstatiert: dass der Anspruch auf Wahrhaftigkeit im Diskurs nicht mehr automatisch gegeben ist (Schaeffer: 2018), dass gegen Menschen und Menschengruppen gehetzt wird und die „Grenzen des Sagbaren“ (Bednarz/Giesa: 2015) sich verschieben, und die gesellschaftliche Polarisierung als politische Methode akzeptiert wird (vgl. Browning: 2018).

Diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung findet dann natürlich notwendigerweise innerhalb derjenigen statt, welche eine Gesellschaft konstituieren: die einzelnen Individuen (vgl. Reckwitz: 2018). Hier wiederum äußert sie sich, und das ist der Fokus dieses Artikels, in multiplen Blockaden der Persönlichkeitsentwicklung, teils auch in feststellbarer personeller Regression. Diese wiederum ergibt dann in ihrer Multiplizität den zivilisatorischen Rückschritt, welcher die Konsequenz des Rechtspopulismus ist. Gleichzeitig gilt auch: angesichts gesellschaftlicher Dynamiken sind stagnierende Individuen auch eine Form der Regression. Und der Rechtspopulismus ist eine wichtige ideologische, politische und kulturelle Erklärungsvariable dieser quantitativ und qualitativ massiven Stagnation.

Persönlichkeitsentwicklung: Was ist das überhaupt

Um diese These zu untermauern, ist es zunächst wichtig zu klären, was Persönlichkeitsentwicklung überhaupt ist. Dies setzt zunächst ein konzeptuelles Verständnis von Persönlichkeit voraus, welche in der Psychologie als ein komplexes Konstrukt verstanden wird (vgl. Neyer/Asendorpf: 2018). Es soll hier eine sehr eingängige Definition der Persönlichkeit aus einem Standardehrbuch der Psychologie gewählt werden: „Persönlichkeit ist die Individualität eines Menschen in körperlicher Erscheinung, Verhalten und Erleben im Vergleich zu anderen Menschen gleichen Alters und gleicher Kultur.“ (Asendorpf: 2015). Es geht im Kern um überdauernde Eigenschaften, die wir immer wieder zeigen, um sogenanntes transsituativ konsistentes Verhalten. Dieses macht Persönlichkeitsentwicklung im Kern aus.

Persönlichkeitsentwicklung beschreibt die Weiterentwicklung des eigenen Denkens, des eigenen Verhaltensrepertoires sowie eine vertiefte Selbstreflexivität (Roth: 2015). Zur Persönlichkeitsentwicklung gehört auch, souveräner mit Gefühlen umzugehen, gerade mit eigenen negativen Gefühlen (Auch-Schwelk: 2018). Persönlichkeitsentwicklung kann selbst initiiert werden, wobei sie schwieriger wird, je älter wir werden, da einerseits die neuronale Plastizität abnimmt und andererseits die Macht der bisherigen Gewohnheiten immer größer wird (vgl. Roth: 2015). Die Persönlichkeitsentwicklung wird andererseits oft durch so genannte kritische Lebensereignisse wie den Verlust von Angehörigen, die Geburt eines Kindes, Umzüge, Jobwechsel etc.

Zur praktischen, selbst initiierbaren Persönlichkeitsentwicklung gehört die Auseinandersetzung mit der eigenen Sozialisation, das Eingestehen von Fehlern, die Korrektur von dysfunktionalem Verhalten oder schwierigen Glaubenssätzen, sowie eine autonome Selbstdefinition, die sich auf eigene Stärken und Kompetenzen besinnt. Ebenso ist die Herausbildung eines gesunden Selbstwertgefühls Teil einer gelungenen Persönlichkeitsentwicklung (Wardetzki 2018: 20; Neyer/Asendorpf 2018: 218).

Die politischen Strategien des Rechtspopulismus

Der Rechtspopulismus ist eine der verschiedenen Spielarten des Populismus (Müller: 2016), eine spezifische politische Richtung, die verschiedene Strategien verwendet, um zentrale politische Ziele zu erreichen. Zu diesen gehört die Forcierung gesellschaftlicher Polarisierung, die Stärkung von Unterschieden zwischen (oft ethnisch definierten) Innen- und Außengruppen, die Delegitimierung der politischen und medialen Eliten sowie der jeweiligen Regierung und die Mobilisierung von bestehenden Ressentiments innerhalb der Bevölkerung (Hillje: 2018; Decker/Brähler: 2018; Ötsch/Horaczek: 2017).

Innerhalb rechtspopulistischer Erzählungen geht es stark um die Rückerlangung von Kontrolle (Heitmeyer: 2018), sei es die Kontrolle der Zuwanderung, der staatlichen Institutionen oder als Abwehr vor der Globalisierung, die oft als Zumutung empfunden wird (Koppetsch: 2019; Browning: 2018). Eine Besonderheit rechtspopulistischer Politik ist, dass es ihr nicht mehr um die Sicherung einer besseren Zukunft, einer Utopie geht, sondern darum, innerhalb einer (vermeintlich) besseren Vergangenheit ein gesellschaftliches Ideal zu wählen. Es geht um Retrotopie statt Utopie (Reckwitz 2020: 14; Jedinger/Burger: 2019), und damit eben auch um eine Wegwendung von einer gemeinsamen, besseren Zukunft. Diese gesamtgesellschaftliche Denkungsart kann dann natürlich auch von denjenigen, die sich mit rechtspopulistischer Politik identifizieren, verinnerlicht werden, und eben eine positive Zukunftsorientierung der eigenen Persönlichkeit, ergo dessen Entwicklung, blockieren.

Der Zentralmechanismus des Rechtspopulismus: Selbstaufwertung durch Fremdabwertung

Psychologisch lässt sich der Rechtspopulismus trotz seiner politischen Komplexität wesentlich in einem Satz zusammenfassen: es geht um Selbstaufwertung durch Fremdabwertung. Die beständige rhetorische Reproduktion einer anständigen, hart arbeitenden und moralisch wertvollen Innengruppe wie „Die Deutschen“ oder „Das Volk“ wird mit negativ besetzten Außengruppen, insbesondere „kriminellen Ausländern“ kontrastiert, und dann geschieht mittels der Selbstidentifikation über eine bestimmte Gruppe eine entsprechende Selbstaufwertung. Über die Identifikation mit der Eigengruppe, zum Beispiel als „anständiger Deutscher wird durch die entsprechende soziale Identität (Tajfel: 1982) auch das persönliche Selbstwertgefühl temporär gestärkt.

Gleichzeitig findet die Stärkung der Identität der eigenen Gruppe durch Abgrenzung zu anderen, durch einen abwertenden Vergleich statt. Dadurch werden Ressentiments, die ohnehin in Menschen vorhanden sind, bewusst mobilisiert und aktiviert (vgl. Decker/Brähler: 2018). Dieser Mechanismus lässt sich insbesondere auch in der Rhetorik einer Sarah Wagenknecht beobachten. Das bedeutet, dass insbesondere auch negative Haltungen zu anderen Menschen bewusst aktiviert werden, und dass damit einhergehend der Fokus sich darauf verschiebt, was die „Anderen“ falsch machen, und nicht, was man selbst richtig oder gut gemacht hat. Das wiederum hat Konsequenzen, langfristig auch für die Persönlichkeitsentwicklung.

Externe Schuldattribution und externe Selbstwertstärkung als Wachstumsprobleme

Es stellt sich nun die Frage, was die kausalen Mechanismen sind, die dazu führen, dass eine aktive Persönlichkeitsentwicklung faktisch blockiert wird. Ein erster wichtiger Mechanismus ist, dass der Rechtspopulismus stets anderen Akteuren oder Gruppen die Verantwortung zuweist, besser: die Schuld zuschiebt für Missstände. Dadurch wird allerdings eine Reflexion unterbunden, was eigene Anteile zum Beispiel an allgemeiner Unzufriedenheit sind. Gerade diese kritische Selbstreflexion ist wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung, allerdings bietet der Rechtspopulismus diese (kurzfristig wirksame und langfristig kontraproduktive) Möglichkeit, genau diese ,teils sicher auch unangenehme, Reflexion nicht durchführen zu müssen. Genauso sind ja andere Gruppen verantwortlich, also sollen sie handeln. Dies allerdings bedeutet, dass das Gefühl von Selbstwirksamkeit, also das Bewirken von etwas aus eigener Kraft bzw. den eigenen Fähigkeiten heraus (vgl. Peiffer/Preckel/Ellwart: 2018; Zimmermann/Antoni: 2018), systematisch unterminiert ist, obgleich es essenziell ist für die Persönlichkeitsentwicklung.

In den Moment allerdings, indem ich nicht handle, und mich nahezu automatisch in Verantwortungsdelegation, auch für mein eigenes Leben, begebe, beginnt die persönliche Stagnation bzw. Regression. Hinzu kommt, dass es in rechtspopulistischer Politik kaum um konstruktive Vorschläge geht, da sie ja gerade vom Beklagen von Missständen lebt (Hillje: 2018; Ötsch/Horaczek: 2017). Genau dies allerdings, die Entwicklung von konstruktiven eigenen Vorschlägen und deren konsequente Umsetzung, wäre gelebte Persönlichkeitsentwicklung gewesen. Diese wird allerdings hier vom politischen Rollenmodell nicht umgesetzt, und gilt dann irgendwann auch nicht mehr als erstrebenswert.

Negative Affektivität und Ressentimentmobilisierung als Persönlichkeitsentwicklungsbremsen

Wer einmal auf einer Demonstration der AfD oder von Querdenkern war, wird folgendes erlebt haben: es gibt viel Wut, viel Hass und negative Gestimmtheit. Sowohl die politische Herangehensweise als auch die Mobilisierungsmethode besteht in negativen Gefühlen, die sowohl angeboten als auch verstärkt werden. Wir wissen aus der Psychologie, dass Ängste häufig mit negativer Affektivität, also stark negativen Gefühlen einhergehen (Neyer & Asendorpf 2018, S.44). Genau das passiert durch Rechtspopulismus, dass Ängste bewusst geschürt werden (Hillje: 2018). Persönlichkeitsentwicklung hingegen heißt in starkem Maße, Ängste zu überwinden.

Der Fokus auf negative Gefühle, auf Ängste, auf Kontroll- und Souveränitätsverlust, der mit rechtspopulistischer Politik einhergeht (Messner: 2022; Pörksen: 2019), ist politisch verständlich, denn es soll die herrschende Politik delegitimiert werden. Jedoch kann gerade dieses Gefühl von Kontrollverlust dann eben stark internalisiert werden, und steht der eigenen Selbstwirksamkeit entgegen. Selbstwirksamkeit beschreibt im Kern das Gefühl, aus eigener Kraft die verschiedensten Herausforderungen meistern zu können (vgl. Molter/Noefer/Stegmaier/Sonntag: 2013). Sie geht eng mit Resilienz, einer grundlegenden Widerstandsfähigkeit gegenüber sehr herausfordernden Situation einher (Schlett/Pauls/Soucek: 2018).

Der Kern der rechtspopulistischen Methodik ist allerdings Ressentmobilisierung und -aktualisierung (Decker/Brähler: 2020; Fuchs/Middelhoff: 2019; Olschanski: 2016). Das heißt, es wird aktiv aufgezeigt, was an anderen Menschen und Gruppen schlecht ist, und negative Gefühle wie Haß, Wut und Neid werden bewusst aktiviert. Damit allerdings findet eine Kultivierung von Anlagen in uns statt, die eben nicht dazu führt, dass wir uns weiterentwickeln, sondern dass wir uns zurückentwickeln, da die schlechten Charaktereigenschaften, die in jeder und jedem von uns enthalten sind, bewusst aktiviert werden. Ebenso beinhalten diese Ressentiments stets auch eine Form der Selbstdefinition durch Abgrenzung. Wir definieren uns nicht aus uns selbst heraus, sondern durch Abgrenzung und Abwertung von anderen. So allerdings entsteht keine genuin, eigene positive Identität, welche wichtig wäre für eine gelingende Selbstwirksamkeit.

Fazit

Der Rechtspopulismus sorgt durch Internalisierung seiner Politiken dafür, dass Selbstwirksamkeit und Eigenstolz untergraben wird, dass die schlechten Eigenschaften von uns aktiviert und die negativen unterbunden werden, und zusätzlich eine generisch eigene Identität nicht entwickelt wird. Daher ist er nicht nur politisch problematisch, sondern schadet vielfach der individuellen Persönlichkeitsentwicklung, und sorgt damit für persönliche, politische und gesellschaftliche Regression.

Literatur:

Auch-Schwelk, Annette (2018). Wut und Ärger. Gut umgehen mit starken Gefühlen. Freiburg: Haufe.

Bednarz, Liane/Giesa, Christoph (2015). Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte. München: Hanser.

Browning, Christopher (2018). Weimar in Washington: Die Totengräber der Demokratie. Blätter für deutsche und internationale Politik, 11, S. 41-50.

Decker, Oliver/Brähler, Elmar (2020). Autoritäre Dynamiken: Alte Ressentiments. Neue Rationalität. In Decker, Oliver/Brähler, Elmar (Hg.). Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität. Die 10. Leipziger Autoritarismus Studie. Gießen: Psychosozial Verlag. S. 15-26.

Decker, Oliver/Brähler, Elmar (2018). Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Gießen: Psychosozial Verlag.

Fuchs, Christian/Middelhoff, Paul (2019). Das Netzwerk der Neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern. Hamburg: Rowohlt.

Geiselberger, Heinrich (2017). Die Große Regression. Eine internationale Debatte zur geistigen Situation der Zeit. Berlin: Edition Suhrkamp.

Heitmeyer, Wilhelm (2018). Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung. Berlin: Edition Suhrkamp.

Hillje, Johannes (2018). Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen. Bonn: Dietz.

Koppetsch, Cornelia (2019). Die Gesellschaft des Zorns. Bielefeld: Transcript Verlag.

Jedinger, Alexander/Burger, Axel (2019). The Ideological Foundations of Economic Protectionism: Authoritarianism, Social Dominance Orientation and the Moderation Role of Political Involvement. Political Psychology, S. 1-22.

Messner, Dirk (2022). Taumelnde Weltordnung. Die Zeitenwende und die globale Klimapolitik. Blätter für deutsche und internationale Politik, 7, S. 59-68.

Molter, Beate/Noefer, Katrin/Stegmaier, Ralf/Sonntag, Karlheinz (2013). Die Bedeutung von Berufserfahrung für den Zusammenhang zwischen Alter, entwicklungsbezogener Selbstwirksamkeit und Anpassung an organisationale Veränderungen. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 1, S. 22-31.

Müller, Jan-Werner (2016). Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin: Edition Suhrkamp-

Neyer, Franz/Asendorpf, Dirk (2018). Psychologie der Persönlichkeit. Berlin: Springer Wissenschaft.

Olschanski, Reinhard (2016). Die Politik des Ressentiments. Blätter für deutsche und internationale Politik, 11, S. 43-48.

Ötsch, Walter/Horaczek, Nina (2017). Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung. Frankfurt am Main: Westend Verlag.

Peiffer, Henrike; Preckel, Franzis/Ellwart, Thomas (2018). Selbstwirksamkeitserwartung von Studierenden. Diagnostica 64 (3), S. 133-144.

Pörksen, Bernhard (2019). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Carl Hanser Verlag.

Reckwitz, Andreas (2020). Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Berlin: Edition Suhrkamp.

Reckwitz, Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Edition Suhrkamp.

Roth, Gerhard (2015). Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwer ist, sich und andere zu ändern. Stuttgart: Klett-Cotta.

Schaeffer, Ute (2018). Fake statt Fakt: Wie Populisten, Bots und Trolle unsere Demokratie angreifen. München: dtv Verlagsgesellschaft.

Schlett, Christian; Pauls, Nina; Soucek, Roman (2018). Der Einfluss von Resilienz auf qualitative Formen der Arbeitszufriedenheit. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 4, S. 202-223.

Wardetzki, Bärbel (2018). Narzissmus, Verführung und Macht. Was Narzissten ausmacht und wie sie verführen. München: Goldmann.

Zimmermann, Lisa/Antoni, Conni Herbert (2018). Developing a Sequential Process Model of Coaching. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 1, S. 14-24.