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Warum die Rede zu Beginn von Steinmeiers zweiter Präsidentschaft seine bisher Beste war

Einleitung: Ein Beamter, kein Rhetor

Frank-Walter Steinmeier ist als politisch Handelnder, als effizienter Politiker und Technokrat, nicht jedoch als großer Redner aufgefallen. Als Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder ist er öffentlich kaum in Erscheinung getreten. Als Außenminister hat er definitiv an Beliebtheit und Statur gewonnen, allerdings hat er vorwiegend fachlich kommuniziert. Als Bundespräsident hat er verschiedene Reden gehalten, die jedoch kaum auffielen. Er hat eher nach innen gewirkt, wie beim Druck auf die SPD 2017, eine erneute Große Koalition einzugehen. Als Kanzlerkandidat hat er denn auch ein sehr mageres Ergebnis 2009 eingefangen, weil seine Kampagne, genau wie er, wenig inspirierend und mitreißend war. Er ist eher ein Mann des Maschinenraumes, ein Beamter, kein Rhetor.

Diese Rede war anders

Bei dieser Rede wiederum war vieles anders als das, was man von Frank-Walter Steinmeier kennt. Sie war klar, sie war kämpferisch, und sie war erstmals: pathetisch. Dies begann schon damit, dass er direkt in der ersten Passage der Rede sagte: „Wer für die Demokratie streitet, der hat mich auf seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben!“

Für jemanden wie Frank-Walter Steinmeier, der die Kontroverse eher scheut und als Harmonisierer gilt, war dies ein bemerkenswerter Einstieg. Er kam sehr unvermittelt auf die Bedrohung durch Russland zu sprechen. In dieser Passage hatte er, der politisch gern im Ungefähren und allgemein zustimmungsfähigen blieb, auch eine Klarheit parat, die man sonst von ihm nicht kannte. Er sagte:

Frieden ist nicht selbstverständlich. Er muss immer wieder erarbeitet werden, im Dialog, aber wo nötig, auch mit Klarheit, mit Abschreckung, mit Entschlossenheit. All das braucht es jetzt.

Frank-Walter Steinmeier

Jedoch hat er auch für die Feindinnen und Feinde der Demokratie und des Pluralismus sehr klare Worte übrig, die man so noch nicht von ihm gehört hat:

Aber denen, die Wunden aufreißen, die in der Not der Pandemie Hass und Lügen verbreiten, die von „Corona-Diktatur“ fabulieren und sogar vor Bedrohung und Gewalt nicht zurückschrecken, gegen Polizistinnen, Pflegekräfte oder Bürgermeister – denen sage ich: Ich bin hier, ich bleibe. Ich werde als Bundespräsident keine Kontroverse scheuen. Demokratie braucht Kontroverse. Aber es gibt eine rote Linie und die verläuft bei Hass und Gewalt. Und diese rote Linie müssen wir halten in diesem Land!

Genau diese rote Linie so zu betonen, ist die klare Definition einer wehrhaften Demokratie und gleichzeitig eine wertebasierte Ansprache. Zwar wird er damit nicht das Vertrauen derer gewinnen, die ihm nicht die Stimme geben konnten, wie er es anfangs sagte. Allerdings machte er seinen Standpunkt sehr deutlich, und hat Niklas Luhmanns Formel „Legitimation durch Verfahren“ eine neue Bedeutung verliehen. Denn nur wer sich friedlich verhält und zumindest nicht wissentlich und willentlich von der Wahrheit weggeht, ist Teil des demokratischen Wertekonsenses. Steinmeier hat somit das Thema seiner ersten Amtszeit, die Demokratie rhetorisch noch einmal mit Leben und mit Pathos gefüllt.

Das Aufbrauchen der Friedensdividende, die veränderte geopolitische Situation, vor allem aber auch die Betonung der Notwendigkeit der Abschreckung zeugten von einer neuen Qualität an rhetorischer Bestimmtheit, die sicher auch aus der Sicherheit der breiten Zustimmung durch die Bundesversammlung resultiert.

Was gänzlich untypisch für Steinmeiers Rhetorik war, war die Verwendung von Metaphorik. Ob es um des Kaisers nackte Kleider angesichts der Pandemiepolitik von Populisten und autoritären Herrschern ging, oder um seinen Satz mit dem maximalen Pathos: „Mögen die Autoritären doch ihre Eispaläste und Golfressorts bauen. Nichts davon ist stärker, nichts leuchtet heller als die Idee der Freiheit und Demokratie in den Köpfen und Herzen der Menschen.“

Die Verneinung der Politiken von Trump und Erdogan hätte kaum treffender und bildlicher formuliert werden. Ebenso sagt er hiermit ganz deutlich, was er eben für die Stärke der Demokratie hält.

Die politische Dimension der Rede

Diese Rede Frank-Walter Steinmeiers hatte verschiedene relevante, hochpolitische Dimensionen.

Erstens hat Steinmeier mit dieser Rede das vermocht, was Lars Klingbeil und Saskia Esken vorher kaum befriedigend gelang, nämlich die Position der SPD, aber auch der Bundesregierung zu Russland klarzustellen, und der russischen Erpressungslogik eine klare Absage zu erteilen. Dies ist umso erstaunlicher, als dass Steinmeier einst unter Gerhard Schröder Kanzleramtsminister war, unter dem diese nachsichtige SPD-Russland-Politik begann.

Zweitens hat Steinmeier das Konzept der wehrhaften Demokratie deutlich erweitert. Denn es ging ihm um die Stärkung der Demokratie gegen ihre Gegner von innen und von außen. Einerseits hat er, angesichts des aktuellen Russland-Ukraine-Konflikts sehr klar gewarnt: „ich kann Präsident Putin nur warnen: Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie!“

Drittens hat Steinmeier nicht einfach nur die Demokratie verteidigt, sondern sie offensiv und pathetisch vertreten. Gerade der Verzicht auf Symbolik, auf starke und dezisionistische Führung, auf besondere Riten in Demokratien kann natürlich auch ein emotionales Vakuum hinterlassen. Darauf antwortet Steinmeier: „Unsere Demokratie ist stark, weil sie getragen wird von ihren Bürgerinnen und Bürgern. Weil sie ihre Kraft nicht mit Unterdrückung, nicht mit Drohung nach außen und Angst im Inneren erkauft. Weil sie den Menschen mehr zu bieten hat als Ideen von nationaler Größe und Herrschaft über andere.“ Diese Fähigkeit, mittels Pathos für die Demokratie zu werben, sie erscheint notwendig, gerade auch angesichts des symbolischen Schulterschlusses der beiden relevanten autoritären bzw. totalitären Regime in Russland und China.

Viertens war politisch interessant, dass Steinmeier explizit seinen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern um das Bundespräsidentenamt dankte, andererseits aber eben nur auf einen von Ihnen einging, Prof.Dr.Gerhard Trabert, parteilos und nominiert von der LINKEN. Er lud diesen demonstrativ ein, gemeinsam über das Thema der Obdachlosigkeit und die Notwendigkeit von Antworten auf neue soziale Fragen zu sprechen. Dies ist einerseits natürlich für einen Sozialdemokraten nicht ungewöhnlich. Es ist andererseits allerdings auch die Einladung nach Links, sich einzubringen und keine Fundamentalopposition zu betreiben. Dieses Angebot gab es weder nach rechts noch zu den Freien Wählern. Steinmeier ist ein Mann der etablierten Parteien, der sich nach rechts abgrenzen und nach links die Gesprächskanäle offenhalten will.

Fünftens hat Steinmeier klar darauf geachtet, den Begriff der Freiheit (zurück) zu gewinnen. Denn er sprach durchgehend von liberalen Demokratien, darauf, die Freiheit im Herzen zu tragen und eben die Verknüpfung von Freiheit der Wissenschaft sowie der Lebensführung innerhalb von Demokratien zu veranschaulichen. Dadurch will er den Freiheitsdiskurs wieder demokratisch rahmen, statt ihn den Querdenkern und anderen Verschwörungstheoretikern zu überlassen. Genau diese Verknüpfung von Demokratie und Freiheit dient bei Steinmeier eben auch dazu, das Pathosdefizit der Demokratie zumindest abzumildern.

Fazit

Steinmeier zeigte eine Klarheit und Entschiedenheit, die man nicht kannte. Er hatte stimmlich starke Passagen, insbesondere als es um die Anklage der Feinde der Demokratie ging. Er sprach teils bildlich, teils frei, und hat sein Thema der Demokratie weiterentwickelt. Er wirkte wie befreit, und er hielt die Rede, die Bundeskanzler Scholz schon längst hätte halten müssen.