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Die Psychologie hinter und die Widerlegung von Verschwörungstheorien

In den Zeiten der Coronakrise blühen gerade in den sozialen Netzwerken immer mehr Verschwörungstheorien auf. Aus psychologischer Perspektive gibt es Verschwörungstheorien nicht ohne Grund, denn sie erfüllen vier wichtige subjektive Funktionen:

  • Erstens, sie reduzieren Komplexität
  • Zweitens, sie schaffen ein Gefühl von Kohärenz (Zusammenhang) in einer immer komplexeren Welt
  • Drittens, sie geben Sicherheit, denn subjektiv weiß ich ja jetzt, woran Corona liegt (Merkel, Gates, 5G, Reptiloiden, Juden oder wer auch immer (Achtung, Satire))
  • Und viertens, besonders attraktiv für Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen: Sie geben einem ein Gefühl von Überlegenheit. Denn ich als Erleuchtete*r habe ja verstanden, wie es wirklich ist, während die anderen Schlafschafe alle dumm sind. Ergo bin ich ihnen geistig überlegen

Sich geirrt haben als Zeichen von Schwäche

Nietzsche hätte mit seinem „Willen zur Macht“ die wahre Freude an Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretikern. Denn ein weiterer psychologischer Mechanismus ist hier, dass viele Aluhutträger das Eingeständnis, sich geirrt zu haben, als Zeichen von Schwäche sehen. Damit aber wäre die Überlegenheit dahin, folglich muss an der Verschwörungstheorie festgehalten werden, egal was die Realität sagt. In der Sozialpsychologie nennt man dieses Verhalten „eskalatives Commitment“: Auch wenn es mich ins Verderben reißt, ich halte an einer Meinung, einer Einstellung, oder einem Verhalten fest.

Das Problem ist jedoch, dass der ganze verschwörungstheoretische Inhalt objektiver Unsinn ist, in der Konsequenz gefährlich (genau wie sich Desinfektionsmittel zu spritzen), und dass es ein Rückschritt für Rationalität und Aufgeklärtheit ist, welche menschliche und zivilisatorische Errungenschaften darstellen.

Meine Top 10 der argumentativen Erwiderung auf die Aluhut-Fraktion

Daher hier nun meine Top 10 der argumentativen  Erwiderung auf die Aluhut-Fraktion. Ich möchte vorher eines hinzufügen: Wer tief in der verschwörungstheoretischen Matrix ist, ist nicht mehr rettbar. Aber die unentschiedenen Dritten, denn um die geht es. Und auch wenn Fakten und Logik (leider) eine begrenzte Reichweite haben, ist meines Erachtens der Versuch immer sinnvoll. Die grundlegende Strategie nennt sich kognitive Dissonanzinduktion. Das heißt, es geht darum, dem Gegenüber aufzuzeigen, warum seine Argumente entweder in sich selbst oder mit der Realität widersprüchlich sind, und deshalb nicht logisch sind.

  1. Wenn du die Verschwörung entdeckt hast, dann müssen die Mächtigen dich ja fürchten, denn jetzt ist ja ihre Verschwörung nicht mehr geheim. Warum darfst du dann noch frei rumlaufen/posten?
  2. Wie können sich denn eigentlich verfeindete Weltmächte (siehe Handelskriege USA-China z.B.) eigentlich auf ein solches gemeinsames Vorgehen einigen?
  3. Glaubst du eigentlich sonst auch, dass alles immer nur eine Ursache hat? Also z.B. der bisherige Verlauf deines Lebens?
  4. Wie kann denn eigentlich im Zeitalter von Digitalisierung und Whistleblowing sowas geheim bleiben? Denn von einer globalen Verschwörung müssten ja echt viele wissen..
  5. Wenn es die Amis/Chinesen waren, warum sollten sie sich denn derart ins eigene Fleisch schneiden?
  6. Ist dir eigentlich bewusst, dass es in der Geschichte wirklich noch nie gut ausging, wenn eine Gruppe für Unheil verantwortlich gemacht wurde, und dass du dich damit in geistiger Tradition der Theorie der Brunnenvergiftung durch die Juden befindest?
  7. Wann wurden eigentlich mal die Grippetoten mit Militärlastern abgeholt, so wie vor einigen Wochen in Bergamo?
  8. Liebst du deine Eltern? Wenn ja, warum gefährdest du sie dann wissentlich und willentlich?
  9. Wenn doch das Handeln der Regierung so dermaßen geheim ist, warum hast du es dann gefunden? Weil dann kann es ja nicht mehr geheim sein?
  10. Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass so ziemlich jede Prognose von KenFM, Rubikon, Russia Today und co sich als falsch erwiesen hat? Es gibt sogar noch Klopapier! Warum also sollten sie ausgerechnet jetzt richtig liegen?

Was ich explizit nicht mit Verschwörungstheorien meine

Dadurch, dass die Aluhut-Fraktion ein Eingeständnis eines Fehlers ja als Schwäche betrachtet, wird da nichts kommen. Aber auch ein Schweigen der anderen Seite ist ein Erfolg.Was ich explizit nicht mit Verschwörungstheorien meine:

  • Kritik am Kommunikationsverhalten des Robert-Koch-Instituts (finde ich öfter auch mal fragwürdig)
  • Kritik an den inkonsistenten Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts
  • Kritik an der Ausweitung staatlicher Aktivitäten und polizeilicher Befugnisse
  • Zweifel an den Daten und Statistiken einiger Staaten
  • verschiedene statistische Interpretationen und Gewichtungen, welcher Indikator relevant ist
  • Zweifel daran, ob das derzeitige Vorhaben ausreichend legitimiert ist
  • Diskussionen über die Notwendigkeit von Lockerungen
  • das Einfordern weiterer Lockerungen
  • Abwägungen, die sagen, dass man neben Corona auch die anderen Faktoren ausreichend beachten muss


Es ist also ein Unterschied, ob man wie Merkel sagt: „Natürlich ist die Perspektive der Virologen wichtig, aber wir müssen auch insgesamt die Folgen im Blick behalten“. Oder wie Laschet, der meint, er lasse sich nicht von Virologen sein Handeln diktieren.

Helmut Schmidt hatte Recht

Und ansonsten: natürlich kann man es sich einfach machen und in den sozialen Netzwerken alle Menschen entfreunden die sich gerade im Diskurs den Aluhut aufsetzen. Aber Daniel Ziblatt und Steven Levitsky haben in „How democracies die“ eindrucksvoll aufgezeigt, dass die politische Polarisierung durch ein nicht-mehr-miteinander-sprechen verschiedener politischer Lager (im amerikanischen politischen Kontext Republikaner/Trumpisten und Demokraten) letztendlich auch die Demokratie untergräbt.

So bleibt mir zum Abschluss nur dreierlei festzuhalten:

  1. Jede*r hat das Recht auf seine/ihre eigene Meinung, aber nicht auf seine/ihre eigenen Fakten (Die Interpretation von Fakten wiederum ist natürlich eine hoch politische Angelegenheit.
  2. Helmut Schmidt hatte Recht, als er feststellte „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine“
  3. Hört auf, solche Verschwörungstheorien zu teilen.