Einleitung
Gestern begann in Glasgow die Weltklimakonferenz, bei der es einmal mehr darum gehen soll, zu einer effektiven und nachhaltig das Klima schützenden Politik zu kommen. Sie steht in einer Reihe mit verschiedenen Konferenzen, die entweder als Erfolg (Paris 2009) oder als Mißerfolg (Kopenhagen 2009) bezeichnet wurden, die jedoch allesamt nichts daran änderten, dass die Emissionen immer weiter stiegen. Es stellt sich daher die Frage, warum es trotz des kollektiven Willens zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen regelmäßig scheitert. Genau das soll in diesem Artikel analysiert werden.
Grundproblem des linearen Denkens
Eines der grundlegenden Probleme, welches uns an effektiver Klimapolitik hindert, ist unsere menschliche Tendenz zum linearen Denken. Wir denken für gewöhnlich in einfachen, linearen Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Lender 2019: 118). Wir sind jedoch, und das zeigt uns jede Corona-Welle aufs Neue, nicht gut darin, exponentielle Entwicklungen oder gar Kipppunkte zu bedenken, mit denen wir es im Weltklima allerdings zu tun haben (wie dem Auftauen der Permafrostböden und vielen anderen; Hofreiter: 2019; Mahnkopf: 2014), und die wir uns einfach nicht wirklich vorstellen können. Das kontrafaktische Denken, dass es demnächst, und vor allem sehr schnell, ganz anders sein könnte, als wir es kennen, das liegt uns einfach nicht. Und führt uns direkt zum nächsten Problem
Grundproblem der Verdrängung
Wir Menschen haben einen ziemlich starken Schutzmechanismus unserer Psyche, und der heißt Verdrängung. Wir haben die grundlegende Fähigkeit und sind unterschiedlich gut darin, unangenehme, schwierige oder gar selbstwertbedrohliche Sachverhalte zu verdrängen (vgl. Morf & Koole 2014: 145). Darin sind wir dann nochmal besonders gut, wenn sie weit weg sind oder gefühlt mit uns nichts zu tun haben. Oder, um es mit Martin Heidegger zu sagen: „Die Befindlichkeit erschließt das Dasein […] zunächst und zumeist in der Weise der ausweichenden Abkehr“ (Heidegger 2006: 136). Genau das erleben wir seit Jahrzehnten: die Fakten liegen auf dem Tisch, aber das Problem wird eben einfach verdrängt. Die Schwierigkeit der politischen Kommunikation ist nun allerdings die: je drastischer wir das Problem schildern, umso größer wird die Tendenz zur Verdrängung. Denn die Verdrängung hilft uns eben auch dabei, unseren eigenen Anteil an der Klimakrise und unsere individuelle Verantwortung (Foer: 2019) schön auszublenden. Das ist natürlich viel bequemer und zudem selbstwertdienlicher, führt aber kollektiv dazu, dass nix geschieht. Das aber genau führt uns zum nächsten Mechanismus.
Grundproblem der Rationalitätenfalle
Die Klimakrise ist ein Paradebeispiel für das Grundproblem der Rationalitätenfalle. Diese besagt, dass ein individuell vorteilhaftes Verhalten kollektiv irrational sein kann (vgl. Klein: 2015). Dies sei kurz an einem Beispiel erläutert: wenn ich individuell Steuern hinterziehe, und nicht erwischt werde, mag dies erstmal für mich vorteilhaft sein. Wenn das jedoch alle machen, dann ist das auch für mich nachteilig, denn dann gibt es keinerlei staatliche Leistungen und Infrastruktur mehr, und ich bin auch materiell nicht mehr im Vergleich zu den anderen bessergestellt. Die Rationalitätenfalle der Klimakrise besteht einerseits darin, dass natürlich der Verzicht auf Emissionen mit einem gewissen Verzicht an Lebensqualität einhergeht. Daher denken sich dann viele: warum sollte ich weniger fliegen, Fleisch essen, schwere Autos fahren etc., da stelle ich mich doch schlechter. Dadurch, dass aber die Mehrzahl der Gesellschaft so denkt, steigen die Emissionen immer weiter, und das Umsteuern wird immer härter. Ebenso ist es im Bereich der Wirtschaft: Natürlich gibt es hier mittlerweile viele fortschrittliche Unternehmen. Aber es gibt sowohl Unternehmen als auch ganze Staaten, welche sagen: wenn wir jetzt unsere Emissionen drastisch senken, sind wir weniger wettbewerbsfähig. Das aber wollen wir nicht. Und so denken dann sehr viele, und die Rationalitätenfalle schnappt direkt zu.
Appetenz-Aversions-Konflikt
Dieses Phänomen ist den Grünen in diesem Wahlkampf besonders stark auf die Füße gefallen. Der Appetenz-Aversions-Konflikt (Heckhausen & Heckhausen, 2005) besagt ganz klar, dass wir bei verschiedenen Phänomenen sowohl positive als auch negative Aspekte betrachten, und es dann oft geschieht, dass von weitem die Positiven überwiegen, von nahem allerdings die Negativen. Von ganz weit weg betrachtet sieht Klimaschutz total gut aus. Man tut etwas für sich und seine Mitmenschen, auch nachfolgenden Generationen, und bekommt dafür auch in einer zunehmend ökologisch gestimmten Gesellschaft Zuspruch. Je näher das Phänomen aber kommt, umso mehr überwiegen die Nachteile, insbesondere dann, wenn es an den eigenen Geldbeutel geht. Als die Benzinpreise stiegen, war der Klimaschutz nicht mehr so interessant. Er bedeutet eben auch mehr Windräder und Solarzellen, durchaus auch auf dem eigenen Dach, und ganz ohne Verzicht ist er eben auch nicht machbar. Genau das sorgt dann aber dafür, dass gefühlt die negativen Aspekte überwiegen, weshalb man sich dann im Wahlkampf wieder voneinander entfernt. Oder auch: die Grünen von 28% in den Umfragen bei der Verkündung von Annalena Baerbocks Kandidatur auf 14,8% final bei der Bundestagswahl. So erklären sich aber auch die massiven Widerstände bei der Umsetzung von ökologischer Politik. Jedoch erklärt dies eben auch die massiven Verzögerungen des Handelns trotz besseren Wissens.
Kurzzeitpräferenz
Ein letztes Phänomen kommt hinzu, welches die Weltenrettung massiv erschwert, und es ist die Kurzzeitpräferenz (vgl. Sirois/Kitner: 2015). Diese wurde weltberühmt durch den Marshmallow-Test, bei dem es darum ging, ob Kinder es schaffen, zehn Minuten lang einen Marshmallow liegen zu lassen, um dann einen zweiten zu bekommen. Die Ergebnisse waren dann doch recht ernüchternd, und genau das lässt sich übertragen. Denn heutige Emissionseinsparungen werden wir unmittelbar als negativ erleben, und sie haben aufgrund unseres gesamten Nicht-Handelns eben nur noch die Folge, dass die Dinge irgendwann in der Zukunft zumindest nicht noch schlimmer und drastischer werden. Das allerdings klingt für unsere Kurzzeitpräferenz (welche individuell unterschiedlich stark ausgeprägt ist) allerdings nicht gerade wie ein berauschender Deal, und es kommt jetzt, nach den Dekaden des Nichthandelns, noch eine besonders zynische Form der Kurzzeitpräferenz hinzu: das Gefühl, dass es jetzt eh zu spät ist, und man deswegen jetzt nochmal die Zeit genießen sollte, ungeachtet dessen, dass genau dieser Lifestyle für alle anderen das entspannte Leben in guten Umweltbedingungen verkürzt. Der Satz „Nach mir die Sintflut“ ist auch Ausdruck einer Kurzzeitpräferenz.
Fazit: Es sieht scheiße aus für die Glasgow-Konferenz
Es sind verschiedene psychologische und politische Mechanismen aufgezeigt worden, die erklären sollen, warum es eine so umfassende Diskrepanz zwischen den politischen Erklärungen und dem erlangten Menschheitswissen einerseits und dem konkreten Nichthandeln andererseits gibt. Diese führen uns zu einer bitteren Erkenntnis: die Wahrscheinlichkeit, dass wir es alle miteinander mit dem Weltklima verkacken, ist ziemlich groß.
Jedoch, um es mit Hölderlin zu sagen: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Denn eigentlich sind wir Menschen ja bestrebt, Gedanken die im Widerstreit stehen, sogenannte kognitive Dissonanzen, zu beseitigen. Und diese werden immer schwerer. Dadurch, dass wir einerseits immer egozentrischer werden (Reckwitz: 2018), gleichzeitig aber in immer mehr realen Lebensweisen die Klimakrise nun konkret wird, ergibt sich die Möglichkeit eines Umdenkens.
Literatur
Foer, Jonathan Safran (2019). Resignation oder Widerstand. Wie wir durch unser Verhalten das Klima retten können. Blätter für deutsche und internationale Politik, 9, S. 49-56.
Heidegger, Martin (2006). Sein und Zeit (6. Auflage). Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
Heckhausen, Heinz & Heckhausen, Jutta (2005). Motivation und Handeln. Berlin: Springer Wissenschaft.
Hofreiter, Anton (2019). Die fünf Klimawandel. Progressive Politik in Zeiten des Umbruchs. Blätter für deutsche und internationale Politik, 3, S. 103-110.
Klein, Naomi (2015). Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima. Frankfurt am Main:S. Fischer Verlag.
Lender, Peter (2019).Digitalisierung klargemacht. Freiburg:Haufe.
Mahnkopf, Birgit (2014). „Peak Capitalism?“ Wachstumsgrenzen als Grenzen des Kapitalismus.WSI Mitteilungen, 7,S. 505-512.
Morf,Carolyn/Koole, Sander (2014). Das Selbst. In Jonas, Klaus/Stroebe, Wolfgang/Hewstone, Miles (Hg.). Sozialpsychologie. Berlin: Springer Wissenschaft.S.141-196.
Reckwitz, Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Edition Suhrkamp.
Sirous, Fuschia/Kitner, Ryan (2015). Less Adaptive or More Maladaptive? A Meta-analytic Investigation of Procrastination and Coping. European Journal of Personality, 29, S. 433-444.