Die Nichtkommunikation und Nichtlegitimation von Politik durch Scholz.
Olaf Scholz war noch nie dafür bekannt, ein großer Redner und Begründer zu sein. Er hat Politik für gewöhnlich eher gemacht als sie großartig zu kommunizieren. Auch im Wahlkampf hat er die Kunst perfektioniert, Fragen schlicht nicht zu beantworten. Daraus ergab sich eine inhaltliche Unklarheit, die sich jetzt im Amt fortführt.
In den beiden zentralen Krisen, welche der Kulminationspunkt der Politik der Ampelkoalition sind, nämlich der Coronakrise sowie der Russland-Krise, sind klare Statements seitens des Kanzlers absolute Mangelware. Eher im Nebensatz einer Pressekonferenz machte er klar, dass im Falle einer russischen Invasion Nord Stream II zur Disposition steht. Die SPD musste jetzt eigens ihren Kurs hinsichtlich der Russlandpolitik noch einmal definieren, da die Meinungen von starker Kritik an Menschenrechtsverletzungen seitens der Jusos bis hin zum absoluten Kotau vor Putin des Altkanzlers Gerhard Schröder reichen.
Warum die Nichtkommunikation der Pandemiepolitik so fatal ist
Gerade in der aktuellen pandemischen Lage herrscht viel Ratlosigkeit, und der Kurs ist unklar. Dies trägt massiv zur Verunsicherung bei, zumal schon im Ausgangspunkt diese Pandemie als ein Kontrollverlust erlebt wird.
Viel gravierender ist jedoch, dass hier ein strategischer Kurswechsel vollzogen, aber nicht kommuniziert und begründet wurde. Die einzige rote Linie der Pandemiepolitik war jene, die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Zudem galt lange Zeit die Devise, Infektionen insgesamt weitgehend zu vermeiden, eine eher restriktive Linie zu fahren und im Zweifel Lockdowns zu verhängen. Jetzt aber scheint es um eine halbwegs kontrollierte Durchseuchung zu gehen, denn wir haben fast das zehnfache der Inzidenzen, die damals für einen Lockdown reichten, dennoch ist vieles weiter offen. Es ist eine durchaus legitime politische Linie, so vorzugehen, dass die Folgekosten (ökonomisch, psychologisch, sozial etc.) eines Lockdowns sind höher als die einer gebremsten Durchseuchung, und es wird damit die Hoffnung auf ein Hinübergleiten in einen endemischen Zustand verbunden. Nur: das müsste dann auch so begründet werden.
Es ist durchaus richtig zu sagen, wir halten die Kitas und Schulen offen, denn die Kinder, unsere vulnerabelste Gruppe, hat am meisten unter den Maßnahmen gelitten, daher stehen sie jetzt obenan. Der Preis dafür ist jedoch, dass sich, gerade bei der Omikron-Mutante, auch immer mehr Kinder und deren Eltern infizieren, und ab diesem Schritt es nicht mehr kontrollierbar wird, wer sich dann infiziert, weil die Nachverfolgung der Infektionsketten kaum noch geschieht. Auch das ist möglich, zu sagen: wir sind für halbwegs offene Schulen und Kitas (sofern nicht ganze Klassen in Quarantäne sind) bereit, diesen Preis zu zahlen. Nur: Das müsste dann auch entsprechend begründet werden.
Die Nichtkommunikation ist auch für Scholz (und Lauterbach) persönlich ein Problem
Olaf Scholz ist einst bekannt geworden mit dem Satz: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“. In der Tat ist Olaf Scholz ein entscheidender, ein handelnder Politiker, der zum Beispiel in der Pandemie zu Beginn als Finanzminister energisch eingegriffen hat. Jedoch ist Führung auch ganz wesentlich Kommunikation, ein mitnehmen, und in der Konsequenz freiwillige Gefolgschaft, wie Max Weber dies einst nannte. In dieser Krisensituation allerdings fast nicht zu kommunizieren, wird auch als Nichtführung wahrgenommen, und somit ein Problem für die Glaubwürdigkeit von Olaf Scholz, und das direkt zu Beginn seiner Kanzlerschaft. Scholz hat sich ja auch festgelegt, dass er für eine allgemeine Impfpflicht sei. Dazu jedoch hört man seit Wochen nichts, ebenso zum Fakt, dass ihm mehr als 1/3 der FDP-Fraktion hier die Gefolgschaft verweigert. Auch hier gefährdet die Nichtkommunikation die Glaubwürdigkeit, was sich wie ein Schatten über seine Kanzlerschaft legen kann.
Auch für Karl Lauterbach persönlich ist das ein Problem. Seine Reputation lag sowohl in seiner medialen Präsenz, als auch seiner Wissenschaftlichkeit, als auch seinen Plädoyers für Vorsicht begründet. Der jetzige Kurs ist wissenschaftlich schwer begründbar, seine mediale Präsenz deutlich reduziert, und auch die Plädoyers wurden deutlich weniger. Nach einem Kickstart an Popularität wird er jetzt zunehmend kritischer gesehen, und in der wohl schwierigsten Phase der Pandemie ist das natürlich eine politische Hypothek, einen Gesundheitsminister zu haben, der gerade qua Nichtkommunikation seine Vorschusslorbeeren verspielt.
Gerade eine veränderte Strategie braucht Narration
Vor allem aber ist es fatal, diesen offenkundigen Strategiewechsel schlichtweg nicht zu begründen, ihm keine narrative Sinngebung zu verleihen. Hier wiederholt Scholz die Fehler, die Angela Merkel gemacht hat. Die großen politischen Umbrüche, sei es die Abkehr von ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik nach ihrer Wahl 2005, die massiven Staatseingriffe im Kontext der Weltwirtschaftskrise 2008ff, die Abkehr von der Atomkraft nach Fukushima, die humane Flüchtlingspolitik 2015 sowie die Abkehr 2016, sie sind vollzogen, aber nicht kommuniziert wurden. Es gab keine Erzählung, keine wirkliche Sinnstiftung, keine umfassende Begründung. Diese gab es in der ersten Welle der Pandemie, und sie kulminierte in dem legendären Ausspruch „Es ist ernst, nehmen sie es ernst“.
Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, und wenn sich etwas ändert, wollen wir wissen, warum dies so ist, denn die Gewohnheiten geben uns Halt und Sicherheit. Es gibt Ängste vor der Veränderung, und die Aufgabe gelingender politischer Kommunikation liegt darin, diese zumindest zu mildern, eine klare Perspektive aufzuzeigen und das eigene Vorgehen zu begründen. Denn das liegt im Wesen von Demokratien, dass Entscheidungen nicht einfach nur angeordnet und vollzogen, sondern auch in der Auseinandersetzung errungen werden.
Was kann Scholz jetzt tun
Olaf Scholz hat ja mit seinem empathischen Auftritt bei Joko und Klaas, in dem er eindrucksvoll für die Impfung war, gezeigt, dass er durch Kommunikation führen könnte. So viel Pathos, Eindringlichkeit und Mitgefühl hatte man ihm nicht zugetraut. Gerade auch angesichts der exponentiell steigenden Zahlen sowie den Zuspitzungen in der Ukraine sollte er, nachdem die SPD sich sortiert hat, klar begründen, warum welche Politik gemacht wird. Er sollte aufzeigen, dass er diesen Weg als den Weg aus der Pandemie ansieht. Dass die deutsche Zurückhaltung hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine sich nicht nur aus der deutschen Geschichte ableitet, sondern auch darin, dass er den Gesprächskanal nach Moskau offenhalten will. Im Kern aber sollte Scholz einfach das machen, was Merkel viel zu selten tat: seine Politik erklären.