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Das TV-Duell: Eine moderatorische Tragödie, eine mediale Farce

Die Eigentlichkeit des Formates

Das Aufeinandertreffen zwischen Angela Merkel und Martin Schulz wurde als ein „Duell“ angekündigt. Es sollte also um Auseinandersetzung gehen, um politisch-rhetorischen Wettstreit zwischen den beiden. Um politische Differenz, aus der heraus es ein Akteur gewinnt, der andere verliert.

Das TV-Duell ist die Institutionalisierung der Personalisierung der Politik schlechthin. Aus dem angelsächsischen Raum importiert, sollen die politischen Persönlichkeiten und ihre konkreten Politiken im Mittelpunkt stehen. Es kam anders.

Der Begriff der Moderation stammt etymologisch aus der lateinischen Sprache. Hier besagt er wesentlich „Mäßigung“. Was das Moderatorenquartett ablieferte, war jedoch größtenteils die genaue Antithese dessen. Sätze à la: „Wie fühlt es sich an, Bundeskanzlerin in einem Land zu sein, in dem [setze etwas negatives ein]. Oder auch, zum Thema Menschen ohne Aufenthaltstitel: „Wann sind die endlich weg.“ (Claus Strunz). Das, was Mäßigung bringen sollte, war an und teils jenseits der diskursiven Grenze der Volksverhetzung. Die einzige Moderation, die stattfand, war die von Interaktion, von direktem Austausch. Kaum, dass beide einmal direkt aufeinander eingehen konnten. Dass die politische Differenz deutlich wird (was auch durch die programmatische Angleichung beider Parteien schwieriger wird) und zugespitzt werden kann. Damit Demokratie, damit Debatte mal wieder knistert und nicht merkelt. Es wurde nichts.

Alle vier Vertreter der Medien haben sich diskreditiert. Teils haben sie ihren Berufsstand beschädigt, wie Claus Strunz mit der bewußten Anbringung eines Falschzitates. Klar wurde: Die Kumulation von Egos, die befriedigt werden wollen, ergibt keine politische Debatte. Viele mediale Köche sorgen für diskursiven Einheitsbrei.

Was wäre wünschenswert gewesen

Es herrscht nach wie vor eine Sehnsucht nach wirklichen Rededuellen, nach „Redeschlachten“, wie es leider unbedarft militaristisch immer noch bisweilen heißt. Die Auseinandersetzungen zwischen Franz-Josef Strauß und Herbert Wehner stehen paradigmatisch dafür. Aber selbst frühere Duelle, wie jene zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber hatten mehr Streit, mehr Elan, mehr Auseinandersetzung.

Im Duell zwischen Merkel und Schulz hätte es zuallererst kurze und mehr offene Fragen geben müssen, keinen Überbietungswettbewerb der Moderation nach dem Motto: „Wie schenke ich ihnen jetzt am besten einen ein“. Denn die Moderatoren sind, gerade durch die Absenz des Publikums, stellvertretend für jenes. Daher hätten sie sich in ihren Fragestellungen mehr an Themen orientieren müssen, welche die Menschen umtreiben: Die Sicherheit der Rente, prekäre Beschäftigung, Unterrichtsausfall, die Folgen der Digitalisierung etc. So aber hat die politische Agenda von vier Menschen, die von niemandem gewählt wurden, das Kanzlerduell bestimmt. Das ist nicht nur traurig, sondern tatsächlich auch ein demokratietheoretisches Problem.

Eine grundlegende Problematik wurde durch das Format nur noch sichtbarer, nämlich die zunehmende politische und programmatische Konvergenz der (ehemaligen) Volksparteien. Das, was der Politikwissenschaftler Colin Crouch „Postdemokratie“ nennt. Denn es waren ja eher graduelle Unterschiede, beim Umgang mit der Türkei etwa, bei den Sammelklagen oder den Umgang mit Gefährdern. Die Paradoxie hierbei war, dass Schulz Merkel dort rhetorisch rechts überholte, was angesichts der Positionsverschiebungen der Union auch nicht mehr ganz so schwierig ist, und die Postdemokratiehypothese bestätigt: Alle streben zur Mitte. Doch die politischen Differenzen sind doch spannend. Und eine Demokratie braucht echte Alternativen. Wenn Margaret Thatchers Diktum: „There is no alternative“ (TINA) stimmen sollte, dann wären Wahlen und somit die Demokratie letztlich sinnlos.

Jedoch, und das ist der Moderation anzukreiden: Die Themen, in denen es eine politische Differenz hätte geben können, wurden fast bis gar nicht angeschnitten. Ob die Bildungspolitik oder die Sozialpolitik. Genau das aber hat das Duell langweilig gemacht. Und war ein weiterer Mosaikstein bei der schleichenden Erosion der Volksparteien.

Folgenloser Punktsieg für Schulz

Fast so wichtig wie das Duell selbst sind die Erwartungen daran. Vor dem Duell wurde allgemein erwartet, dass Martin Schulz rhetorisch stärker sei als Angela Merkel. Das heißt, schon ein Patt wäre für ihn eine Niederlage gewesen. Die Metafrage ist: wie viel besser hätte er sein müssen, um die Erwartung, besser zu sein als Merkel, tatsächlich übertreffen zu können? Das nämlich hätte er benötigt, um vielleicht noch eine Aufholjagd zu starten.

Dennoch war Schulz besser. Seine Angriffe auf Merkel bei der Rente mit 70, die konsequente Durchrechnung des Steuerbeispiels (die bei der Kanzlerin nur Stückwerk blieb), seine Attacken gegen die Autoindustrie, selbst die Reklamierung von mehr Polizei.

Vor allem stilistisch gewann Schulz. Seine besondere Stärke sind die rhetorischen Pausen. Anders als die Kanzlerin beherrscht er das Pathos. Und er hat es immer wieder geschafft, seine Redebeiträge auf den letzten Satz zu fokussieren, und diesem besondere stimmliche Verve zu geben.

Jedoch: Die Kanzlerin hat fast alles weggemerkelt, und sie hat sich nur einmal ihre Unsicherheit und Unzufriedenheit ansehen lassen. Daher: Der Punktsieg ist viel zu klein, um etwas zu bewirken.

Der Sieger: Die AfD

Die kleinen Parteien werden wohl insgesamt davon profitieren. Die Thematisierung von Migration, Integration, Flüchtlingskrise und Islam stärkt jedoch vor allem die AfD. Denn für gewöhnlich wählen die Wählerinnen und Wähler das Original, auch wenn Schulz jetzt „Klare Kante“ zeigen will. Vor allem aber auch die Fragen von Claus Strunz, welche die Internalisierung kruder Stammtischparolen deutlich aufgezeigt haben, machen diese Partei salonfähig. Strunz selbst gehört zu Breitbart, nicht einmal mehr zur BamS.

Genau diese konsequenzielle Stärkung der AfD ist unverantwortlich. Das Format muss geändert werden. Im Interesse der Demokratie und der offenen Gesellschaft.