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Was bleibt vom Neun-Euro-Ticket? War es ein Erfolg?

Einführung: Das Neun-Euro-Ticket zwischen Verkehrswende, Inflationsdämpfung und politischem Aufbruch

Wohl kaum eine politische Maßnahme hatte in den letzten Monaten eine derart lebensweltliche Relevanz wie das Neun-Euro-Ticket der Bahn. Es wurde multimillionenfach verkauft, hat enorm vielen Menschen die Bahn näher gebracht, aber sie auch von ihr abgeschreckt, und es hat insgesamt die Mobilität der Gesellschaft, insbesondere unterer Einkommensschichten, deutlich verbessert

Es ist einerseits Ausdruck des Koalitionsvertrages, welcher eine bessere Verfügbarkeit des öffentlichen Personennahverkehrs vorsieht. Es stand und steht allerdings auch klar im Kontext der massiven Preissteigerungen im Gefolge des russischen Angriffskrieges, insbesondere der stark gestiegenen Spritpreise, welche so direkt für Pendlerinnen und Pendler abgefedert wurden. Vor allem wollte die Regierung hiermit Handlungsfähigkeit beweisen und eine andere Politik machen als die Vorgängerregierungen. Das Neun-Euro-Ticket wurde sehr stark diskutiert, es war ein Stresstest für die Bahn, und seine Zukunft ist trotz seines formellen Auslaufens am 31.08.2022 noch unsicher

Was bleibt vom Neun-Euro-Ticket

Viel!

  1. Politische Selbstwirksamkeit: es wurde deutlich, dass wenn eine andere Verkehrspolitik gewünscht ist, und es dafür auch entsprechende parlamentarische Mehrheiten gibt, dann kann dies auch umgesetzt werden.
  2. Die Erkenntnis der Preisresponsivität: Wenn die Tickets nur entsprechend günstig sind, dann sind Menschen bereit, sich auch in sehr volle Züge zu setzen. Das Auto ist nicht sakrosankt, auch in Deutschland nicht, aber der Preis muss stimmen. Dies ist eine wichtige Erkenntnis für künftige Verkehrspolitiken
  3. Erlebnisse: Viele Menschen und Familien waren jetzt das erste Mal an der Ostsee, an der Nordsee, in den Alpen. Manche nutzten dies für einmonatige Touren quer durch Deutschland. All das ist begrüßenswert, und all das hätte es ohne das Neun-Euro-Ticket nicht gegeben.
  4. Politischen Druck: Es wurde deutlich, dass Menschen bereit sind, die Bahn zu nutzen, dass allerdings das System Bahn an objektive Leistungsgrenzen kommt, wie sich insbesondere an den ersten Wochenenden zeigte. Dadurch allerdings erhöht sich der politische Druck, jetzt in den Ausbau zu gehen, und das heißt: Mehr Investitionen in Menschen, Netze und Maschinen.
  5. Eine spürbare Preisdämpfung: Gerade diejenigen, die pendelten, wurden somit entlastet, und bis der Tankrabatt seine Wirkung entfaltete, hat es gedauert. Damit wurden Wohlfahrtsverluste eingedämmt, was natürlich auch ein sozialpolitischer Erfolg ist.
  6. Ein Zielkonflikt zur Pandemiepolitik: Denn einerseits sollten natürlich die Zahlen sinken, andererseits gab es trotz Maskenpflicht viele Maskenverweiger*innen, und gerade zu Beginn des Neun-Euro-Tickets gingen die Infektionszahlen in die Höhe (allerdings ist hier noch zu klären, ob das eine kausal mit dem anderen zusammenhing). Sehr volle Züge mit einer signifikanten Zahl an Menschen ohne Maske sind jedenfalls mitten in einer Pandemie nicht sinnvoll.
  7. Der Diskurs um die Verkehrspolitik. Gerade jetzt, wo intensiv darüber diskutiert wird, wie es weitergeht, zeigt sich, dass das Neun-Euro-Ticket und damit die bewusste verkehrspolitische Gestaltung von Rahmenbedingungen dieses Politikfeld auch aufgewertet hat.
  8. War es auch ein klimapolitischer Erfolg, da durch das Neun-Euro-Ticket es zumindest teilweise ein Ersetzen von Autos auf Züge gab, was dann zu signifikanten Einspareffekten führte.
  9. Einen Zugewinn an Lebensqualität auch für Nicht-Nutzer*innen: die Straßen waren teils leerer, insbesondere am Wochenende.
  10. Eine neue Form der Nähe: Nachdem wir in der Pandemie (weitgehend) gelernt haben, Abstand voneinander zu halten, haben wir jetzt wieder gelernt, das auch das Gegenteil geht. Teilweise hat uns das Neun-Euro-Ticket unfreiwilliges Gruppenkuscheln beschert, in jedem Falle das nahe aushalten vieler anderer Menschen. Damit hat es auch die Tugend der Toleranz gestärkt.

War das Neun-Euro-Ticket ein Erfolg

Insgesamt ja. Denn es kam weder zum System- oder Verkehrskollaps auf der Schiene, noch hat es keine Effekte gehabt. Denn es waren erstaunlich viele Menschen, die sich dieses Ticket gekauft haben. Allein schon, dass jetzt über mögliche Nachfolgemodelle diskutiert wird, zeigt, dass es gut ankam. Allerdings sind die konkreten Pläne und Diskussionen zum notwendigen Ausbau der Infrastruktur, aber auch des Personals und des Fuhrparks noch nicht so weit, wie einige es sich wünschen würden.

Dennoch wurden die zentralen policy-Ziele erfüllt, nämlich Preissenkungen, einen Anreiz zum Umstieg auf den ÖPNV und eine Erlebbarkeit einer sozial-ökologischen Transformation. Genau deshalb war das Neun-Euro-Ticket auch insgesamt ein Erfolg.

Sollte das Neun-Euro-Ticket weitergeführt werden?

Nicht sofort, und wenn, dann in modifizierter Form und nach einer entsprechenden Zwischenzeit. Damit es tatsächlich seine ganze Wirksamkeit entfalten kann, bräuchten wir Züge mit mehr Waggons, bessere Taktungen und mehr Personal in den Zügen sowie für die Züge (Wartung, Reparatur etc.). All dies braucht Zeit.

Vor allem war es für die Beschäftigten bei der Bahn, insbesondere Zugbegleiter*innen, die jetzt in besonderem Maße gefordert waren. Sie brauchen auch einmal eine Auszeit, Normalität, Zeit zum Durchatmen.

Gleichzeitig sollte überlegt werden, wie man noch intelligentere und gerechtere Modelle gestalten kann. Denn natürlich hat ein Neun-Euro-Ticket Mitnahmeeffekte, und nicht jeder benötigt dies. Allerdings sollte es klar absolut günstige Angebote für Menschen mit geringem Geldbeutel geben, und generell sollten die Preise für die Bahn sinken, um noch mehr Menschen für den Umstieg zu gewinnen. Allerdings sollte dies mit differenzierten Angeboten und verbesserter Vorbereitung geschehen.

Das Neun-Euro-Ticket war ein Erfolg. Doch nur mit einer Pause und seiner Weiterentwicklung und besserer Vorbereitung wird es ein noch größerer Erfolg.