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Der absehbare Tabubruch – 3 Chancen der AfD in Ostdeutschland 2024 die stärkste politische Kraft zu werden

Einleitung: 2019 galt noch das sich-sammeln um den Ministerpräsidenten

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist nicht mehr nur eine rechtspopulistische, sondern eine zunehmend autoritär-nationalradikalistische Partei (Heitmeyer: 2018). Sie hat insbesondere in Ostdeutschland sehr starke Erfolge zu verzeichnen (Marian/Müller 2020: 82). In Umfragen sowohl in Sachsen als auch jüngst in Brandenburg und in Thüringen ist die AfD führend in den Umfragen für die Landtagswahlen 2024. Dies hat es teilweise auch schon vor den Landtagswahlen 2019 gegeben. Dort wiederum war es allerdings so, dass sich dann erstaunlich viele Wählerinnen und Wähler, aus Angst davor, dass die AfD stärkste Kraft wird, sich um die Partei des Ministerpräsidenten scharten und damit der SPD in Brandenburg unter Dietmar Woidke, der CDU in Sachsen unter Michael Kretschmer und der LINKEN in Thüringen unter Bodo Ramelow parteipolitische Wahlergebnisse deutlich über den vorherigen Umfragewerten beschert.

Damals war dies, die AfD als stärkste politische Kraft, allerdings noch ein klares moralisch-politisches Tabu, welches zunehmend erodiert, da es auch kommunal immer mehr Zusammenarbeit der verschiedenen Parteien mit der AfD gibt. Zweitens ist bis auf in Sachsen nicht klar, wer genau die Alternative zur Alternative als stärkste Kraft ist, denn in Brandenburg liegt jetzt die CDU vor der SPD (Wahltrend 26.04.2023). In Thüringen liegt die CDU nach jüngster Umfrage nur noch einen Prozentpunkt hinter der LINKEN (INSA 26.04.2023), und es ist noch nicht klar, ob Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründen wird. Das heißt, in 2 von 3 Bundesländern, in denen 2024 gewählt wird, kann es sein, dass nicht klar wird, wen man taktisch wählen soll, um die AfD als stärkste Kraft zu verhindern. Drittens hat die AfD ein deutlich verfestigtes Wählerklientel sich aufgebaut, welches auch ziemlich sicher wählen geht. Dies haben die etablierten Parteien im Osten so nicht. Genau daraus resultierend ergibt sich die große politische Gefahr, dass die AfD in allen drei Bundesländern stärkste politische Kraft wird. Genau darum soll es in diesem Artikel gehen.

Die Gründe für die strukturelle Stärke der AfD

Die Wahlergebnisse und Umfragewerte der AfD liegen in Ostdeutschland ungefähr beim Dreifachen dessen, was die Partei bei den meisten Landtagswahlen in den alten Bundesländern bekommt. Dies ist entsprechend erklärungsbedürftig. Diese multifaktorielle Erklärung soll daher vor dem spezifisch ostdeutschen Hintergrund (Mau: 2020) geschehen.

Der erste Grund ist ein in Ostdeutschland drastisch erhöhtes generalisiertes Institutionenmisstrauen (vgl. Decker et. Al.: 2022; Frei et. Al.: 2019), also die Vorstellung, dass der Staat, die Medien, die Eliten usw., nicht im Sinne der Bevölkerung arbeiten. Daraus resultiert eine erhöhte Anfälligkeit für bzw. Resonanz von politischem Populismus (Sandel: 2020; Jörke/Selk: 2017; Müller: 2016) Dieses deutlich erhöhte generalisierte Institutionenmisstrauen rührt auch daher, dass es bis zur Wende ja auch tatsächlich notwendig bzw. ein Selbstschutzmechanismus war, den Institutionen der DDR zu misstrauen (vgl. Köpping: 2018; Priestland: 2009). Dieses Erleben, dass insbesondere staatliche Medien einen aus ideologischen Gründen sowie Selbstlegitimationsgründen belügen, wird dann eins zu eins auf die Bundesrepublik projiziert und diese damit abgewertet. Das politische Geschäft der AfD besteht erheblich darin, Misstrauen zu schüren und die bestehenden Eliten zu delegitimieren (Hillje: 2018; Bednarz/Giesa: 2015). Gerade diejenigen, die mit der Pandemiepolitik nicht einverstanden waren, waren dies auch aus generalisiertem Institutionenmisstrauen heraus. Diese Menschen sind, so unterschiedlich sie vorher politisch getickt haben mögen, entsprechend empfänglich für die AfD

(Amlinger/Nachtwey: 2023), weil diese auch in klarer Opposition zur tatsächlich durchgeführten (und häufig nicht widerspruchsfreien) Pandemiepolitik stand und steht (von Lucke: 2020).

Der zweite Grund besteht darin, dass die AfD ein politisch-psychologisches Angebot macht, welches für viele Menschen attraktiv ist, nämlich die vielfache Selbstaufwertung durch Fremdabwertung (vgl. Amlinger/Nachtwey: 2023; Pörksen: 2019; Heitmeyer: 2018). Es wird gegen Ausländer gehetzt, gegen „Altparteien“, gegen politische Verantwortungsträger, und diese werden wahlweise als unfähig, unmoralisch oder korrupt dargestellt (Ötsch/Horaczek: 2017). Gerade dadurch, dass ¾ aller Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung beruflich-biografische Brüche erlitten haben (Mau: 2020), sich aber auch kulturell deklassiert gefühlt haben (Simon: 2018), ist insgesamt das Selbstwertgefühl prekär. Auch die ungleiche Bezahlung zwischen Ost und West sowie die deutliche Unterrepräsentation selbst bei Führungspositionen ist Ostdeutschland führen dazu, dass insgesamt das Selbstwertgefühl sowohl durch Vergleiche als auch im Vergleich zu Westdeutschen im Durchschnitt deutlich prekärer ist. Indem man auf andere herabschaut, kann man sich selbst aufwerten. Gerade die social media Aktivitäten der AfD sind voll von solchen Beispielen, in denen politische Mitbewerber als unfähig dargestellt werden oder „zerstört“ werden. Diese Selbstaufwertung durch Fremdabwertung hat auch die LINKE und insbesondere Sahra Wagenknecht im rhetorisch-politischen Angebot. Allerdings sind Ausländer eben viel konkreter und damit mobilisierungsfähiger als kapitalistische Eliten. Zudem würde kaum jemand der AfD-Anhängerschaft selbst Ausländer sein wollen, viele aber sehr wohl reich, weshalb die LINKE Zuspitzung gegen „Reiche“ nur bedingt verfängt.

Daraus resultiert der dritte Grund, die Verschiebung der Protestwahl von der LINKEN (bzw. der früheren PDS) zur AfD. Gerade die frühere PDS war im Osten für knapp 2 Jahrzehnte im Prinzip eine Volkspartei (Mau: 2020), und sie stand für den Protest gegen die herrschende Politik, die nicht gleichberechtigte Wiedervereinigung zwischen BRD und DDR, aber auch für eine Kritik an kapitalistischen Auswüchsen. Gleichzeitig war sie aber auch eine ostdeutsche Identitätspartei (Scharenberg: 2008), mit der sich viele identifizieren konnten, die die Versprechen der Wiedervereinigung als nicht eingelöst ansahen. Als Protest gegen diese auch als westlich verstandene Moderne, aber auch aus einer ostdeutschen Identifikation heraus wurde die PDS gewählt, der eine starke Ostkompetenz politisch zugeschrieben wurde, was bei der LINKEN nicht mehr der Fall war. Gleichzeitig geriet DIE LINKE in Regierungsverantwortung, stellte in Thüringen den Ministerpräsidenten und hat (bis auf wenige Strömungen wie die Kommunistische Plattform) die freiheitlich-demokratische Grundordnung auch offiziell akzeptiert. Die AfD hingegen regiert nirgendwo mit, betreibt parlamentarische Fundamentalopposition und wird sogar vom Verfassungsschutz beobachtet. Wer also Protest will, insbesondere auch radikalen Protest, landet dann auch folgerichtig bei der AfD. Hinzu kommt, dass diese tatsächlich eine ganz andere, eine autoritär-nationalradikale Gesellschaft will (Heitmeyer: 2018). Das bedeutet, dass die Protestwählerschaft sich nahezu komplett von der LINKEN hin zur AfD bewegt hat, trotz deren starker programmatischer Unterschiede. Genau aus dieser Überlegung heraus ist innerhalb der AfD ein Mitregieren, gerade auch als Juniorpartner, umstritten.

Der vierte Grund ist das, auch historisch bedingte, andere Russlandbild, welches sehr viele Ostdeutsche haben. Sie haben Russland als den „großen Bruder“ kennengelernt, und für viele Ostdeutsche war die damalige Organisation der „deutsch-sowjetischen Freundschaft“ (DSF) keine leere Floskel. Daher glauben sie auch den russischen Narrativen der Einkreisung durch die NATO, der notwendigen Selbstverteidigung, und lehnen dementsprechend, auch mit Verweis auf die deutsche Geschichte sowie die Wahlprogramme auch an der aktuellen Ampel-Regierung beteiligter Parteien kategorisch ab. Hinzu kommt die nicht von der Hand zu weisende Angst, durch weitere Waffenlieferungen immer weiter in den Krieg hineingezogen bzw. tatsächlich Kriegspartei zu werden. Die Mehrzahl der Ostdeutschen sieht ergo keinen Sinn in den Russlandsanktionen, eher einen daraus resultierenden nicht notwendigen Wohlstandsverlust durch teurere Energiepreise, aber auch durch

die tatsächlich stärkere Verknüpfung ostdeutscher Unternehmen mit dem russischen Markt. In dieser spezifischen Russland-Betrachtung wird sehr vieles ausgeblendet, insbesondere die russischen Kriegsverbrechen, und offenkundige russische Brüche des Völkerrechtes (Mason: 2022; Zellner: 2022) werden mit dem Verweis auf amerikanische Verstöße des Völkerrechts wie den Irakkrieg 2003 legitimiert (vgl. Kipping: 2016). An der Seite Russlands und gegen jede Waffenlieferung und jede Sanktion stehen DIE LINKE und die AfD. Bei beiden zahlt dieses andere Russlandbild, aber auch die Angst vor weiterer Kriegseskalation bzw. einem deutschen Hineingezogen-Werden in den Krieg politisch ein.

Der fünfte Grund sind tatsächliche Spezifika der Migrationsthematik in Ostdeutschland. Mit der Kontakthypothese aus der Psychologie (vgl. Pendry: 2014). Praktisch zeigt sich allerdings, dass gerade der fehlende Kontakt einer der Gründe für entsprechende Ressentimens sind (Decker et. Al. 2020: 65). Denn insbesondere die DDR war faktisch ein ethnisch homogener Staat, in dem sehr darauf geachtet wurde, dass die Gastarbeiter aus den damaligen „sozialistischen Bruderländern“ separiert von der sonstigen Bevölkerung aufwuchsen. Es herrscht insgesamt das politisch-psychologische Paradox vor, dass die AfD dort besonders stark ist, wo es wenige Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Genau das ist im gesamten Osten (außer in Berlin) der Fall.

Es lässt sich also festhalten, dass es gleich fünf strukturelle Gründe für das starke und stabile Elektorat der AfD gibt. Diese erklären auch, dass die Partei trotz aller Skandale, trotz häufig fehlender konstruktiver politischer Vorschläge sowie der Beobachtung durch den Verfassungsschutz zumindest in Ostdeutschland mit mindestens einem Fünftel aller Stimmen wird rechnen können. Schon das kann angesichts der Schwäche der anderen Parteien, vor allem aber aufgrund der hohen Volatilität des ostdeutschen Wahlverhaltens, schon ausreichend sein, um stärkste Kraft zu werden. Hinzu kommen länderpolitische Spezifika, die jetzt erörtert werden sollen.

Brandenburg: Der Niedergang der Sozialdemokratie in Dekaden

Der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe hat Brandenburg einst die „kleine DDR“ genannt. Nach einer höchst heterogenen Regierungskoalition nach der Wende hat die SPD tatsächlich auch mit absoluten Mehrheiten und mit einem bis heute ungebrochenen Selbstverständnis als die brandenburgische Staatspartei regiert.

Auf Manfred Stolpe konnten sich fast alle in Brandenburg einigen, auch Matthias Platzeck war ein beliebter Ministerpräsident. Was jedoch niemandem von ihnen gelang, war die Schließung der zunehmenden Diskrepanz zwischen dem berlinnahen Speckgürtel und der Peripherie. Unter dem späteren Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) und seiner rot-roten Koalition wurde der Versuch einer Verwaltungsstrukturreform unternommen und dann schließlich, in einem Autohaus in der Prignitz (!) abgeblasen. Für die Ansiedlung von Tesla wurde sehr viel getan, und das Unternehmen bevorzugt behandelt, was insbesondere bei einheimischen Unternehmen die Frage nach der Gleichheit vor dem Gesetzgeber auftat. Die makroökonomischen Rahmenbedingungen in Brandenburg entwickeln sich gut, das Land schließt langsam zu Schleswig-Holstein auf, und durch den Kohlekompromiss wurden viele Milliarden für die Lausitz gesichert. Dennoch ist offenkundig, dass bei Dietmar Woidke der politische Zenit schon überschritten ist. In der Kenia-Koalition kracht es regelmäßig zwischen SPD und CDU einerseits, sowie den Grünen andererseits, sei es beim Jagdgesetz oder dem Abschiebeknast am Flughafen Schönefeld. Gleichzeitig beginnen nun schon unter dem sehr ehrzeigen und politisch-methodisch nicht immer feinfühligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Daniel Keller bereits die Nachfolgekämpfe, was Dietmar Woidke nur noch weiter schwächt. Die CDU Brandenburgs hat erstmals seit Jahrzehnten die SPD in den Umfragewerten überholt. Damit wird es 2024 unwahrscheinlich, dass die SPD Leihstimmen von Grünen- und Linkenwählern bekommen wird, um

die AfD als stärkste Kraft zu verhindern. Gerade in den ländlichen Kreisen, die teils nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich politisch, sozial und ökonomisch abgehängt sind, wird die AfD sehr starke Ergebnisse holen. Hierbei wird ihr wohl auch das Narrativ helfen, dass die SPD endlich „abgelöst“ gehört. Der Wahltag wird wohl zu einem Fanal für die Brandenburger Sozialdemokratie werden.

Sachsen: Die zunehmenden Grenzen der Imitations- und Verständnismethode

Seit der Wiedervereinigung ist Sachsen ein politisch sehr konservatives Land, welches zudem teils stark rechts steht, wie sich an der dauerhaft im Landtag verankerten NPD bereits zeigte, die trotz der AfD fast erneut 2014 in den Landtag eingezogen wäre. Nachdem der ehemalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, nicht völlig zu Unrecht als „König Kurt“ bezeichnet, dem Land attestierte, kein Problem mit rechtem Gedankengut zu haben, erkennt Sachsen nicht erst seit den Ausschreitungen gegen Geflüchtete 2015ff dieses Problem.

Die CDU hat lange Zeit ihre etablierte Strategie gefahren: Sicherheits- und Migrationsthemen selbst besetzen und ansonsten hoffen, dass sich gute Regierungsarbeit mittels Outputlegitimation auszahlt. Dass die Sozialdemokratie in der Koalition insbesondere in der Arbeitsmarktpolitik aktiv war, störte dort nicht weiter. Dennoch wurde die AfD immer stärker. Die notgedrungen geschmiedete Kenia-Koalition wollte anfangs einen anderen politischen Stil etablieren. Davon ist nichts mehr übrig. Im Gegenteil hat Michael Kretschmer gegen die Grünen und ihre Energiestrategie und Russlandpolitik ausgeteilt, als wären diese kein Teil seiner Koalition.

Forderungen nach Begrenzung der Zuwanderung, nach Grenzkontrollen, aber auch nach Einschränkungen der Russland-Sanktionen kommen immer wieder aus der sächsischen CDU, und Michael Kretschmer zeigt sich entschlossen, diese Positionen auch persönlich zu vertreten, weil er sie in Sachsen für mehrheitsfähig hält, selbst wenn die Beschlusslage seiner CDU einer andere ist (was auch im Konrad-Adenauer-Haus gern für Verdruss sorgt). Jedoch stellen sich dann viele Bürgerinnen und Bürger natürlich die Frage: warum nicht gleich das Original wählen?

Durch seine Zuhörtour, bei der Ministerpräsident Kretschmer tatsächlich viel zuhörte und sich auch regelmäßig beschimpfen ließ, schaffte er aus, auf den Zielgeraden die CDU erneut zur stärksten Kraft des Landes zu machen. Es ist davon auszugehen, dass er ähnliches wieder versuchen wird, weil es einmal Erfolg brachte. In der Tat ist es wichtig, den Menschen zuzuhören, die häufig aus biografischen Brüchen gespeisten Ressentiments ernst zu nehmen und demokratisch umzulenken. Dennoch wollen viele Menschen jetzt Taten sehen, und die Zahlen der Geflüchteten steigen wieder erheblich, was gerade in Sachsen für erheblichen Unmut sorgt. Es braucht also keine Wiederholung, sondern eine neue Form der Resonanz, sowie ein Ende des destruktiven Innerkoalitionären Dissenses. Es bestehen hier in Sachsen für die AfD sehr große Chancen, diesmal wirklich stärkste Kraft zu werden.

Thüringen: Bodo ist nicht DIE LINKE, diese ist zunehmend gespalten, und die CDU diskreditiert

In Thüringen hingegen liegt der Sachverhalt noch einmal ganz anders. Auch hier profitierte Bodo Ramelow vom Ministerpräsidentenbonus, und insbesondere auch von der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Drei-Tages-Ministerpräsidenten durch die AfD. In Thüringen hat die rot-rot-grüne Regierung keine eigene Mehrheit und ist faktisch auf die CDU angewiesen, die aber offiziell nicht mit der LINKEN gemeinsame Sache machen darf, da dies ein Bundesparteitagsbeschluss verhindert. In der Konsequenz ist die Landespolitik stark gelähmt, was viele zunehmend frustriert.

Bodo Ramelow ist der einzige Ministerpräsident der LINKEN in Deutschland. Persönlich verfügt eher über hohe Popularitätswerte und eine interessante Biografie. Viele Stimmen für DIE LINKE waren

Bodo-Ramelow-Stimmen, denn der Landesverband liegt mittlerweile in den Umfragewerten und Parlamenten in Thüringen dreimal so hoch wie im gesamten Rest des Ostens. Das Problem ist allerdings: Bodo Ramelow entspricht nur in Teilen der Politik seiner Partei. Er lehnt den russischen Angriffskrieg ab, ist offen für westliche Waffenlieferungen, was auch tatsächlich zu einem (mittlerweile verworfenen) Parteiausschlussverfahren geführt hat, und kritisiert auch immer wieder in harten Worten linke Hardliner. Faktisch ist er ein sehr staatstragender linker Sozialdemokrat. Genau deshalb ist er auch für viele Menschen außerhalb des Wählerpotenzials der LINKEN wählbar.

Es besteht also für DIE LINKE in Thüringen die paradoxe Situation, dass ihre einzige Chance auf den Machterhalt in einer Personalisierungsstrategie besteht, die auf einem Ministerpräsidenten basiert, der in zentralen politischen Fragen neben der Partei steht. Dies können Wählerinnen und Wähler auch als inkonsistent bewerten. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass die CDU der bestehenden Koalition nur selten Erfolge gönnt, und dass der Wunsch verständlich erscheint, klare parlamentarische Mehrheiten zu haben, um wirklich als Bundesland durchregiert werden zu können. Dies wiederum könnte Menschen dann zur CDU führen. Allerdings sind die Ermittlungen wegen geschäftlicher Korruption(!) gegen den Landesvorsitzenden Mario Voigt hier sicher ein Hindernis, genau wie die kriminellen Verwicklungen von Mark Hauptmann (CDU) in die Maskendeals in der Pandemiezeit. Das heißt, einerseits erwarten die Menschen von der CDU als ehemaliger Regierungspartei Gestaltungspolitik, was diese aber wegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses mit der LINKEN auf Bundeseben nicht abliefern darf. Andererseits sind ihre Führungspersönlichkeiten moralisch erheblich diskreditiert, und allgemein anerkannte Persönlichkeiten vom Format des früheren Ministerpräsidenten Vogel hat sie schlicht nicht. In der Konsequenz sind Union und LINKE politisch auf Augenhöhe um Platz, so dass nicht klar ist, wen man wählen soll, um die AfD als stärkste Kraft zu verhindern. Auf der anderen Seite steht eine sehr entschlossene und geschlossene AfD unter der Führung von Björn/Bernd Höcke.

Die große Unbekannte, die für Thüringen dazu noch relevant wird, ist die Frage, ob Sahra Wagenknecht tatsächlich eine eigene Partei gründen wird. Darüber wird seit Monaten spekuliert, und sowohl die damalige, gescheiterte „Aufstehen“ Bewegung als auch das gemeinsame „Manifest für den Frieden“, gemeinsam mit Alice Schwarzer und anderen, können als Vorläufer dessen betrachtet werden. Wenn dies der Fall sein sollte, würde dies interessanterweise sowohl die LINKE als auch die AfD schwächen (und damit einen Wahlsieg der CDU wahrscheinlicher machen). Die AfD würde geschwächt, weil es im Osten ein durchaus erhebliches national-solidarisches Lager gibt (Buchmayr: 2022), also Menschen, die gesellschaftspolitisch konservativ, aber wirtschaftspolitisch für Umverteilung sind, allerdings nur an die eigene Bevölkerung. Diese Menschen erreicht jetzt die AfD, und sie könnten dann von einer Wagenknecht-Partei erreicht werden. Allerdings würde eine Spaltung der Partei des Ministerpräsidenten zuallererst diesen schwächen, denn: gespaltene und zerstrittene Parteien werden deutlich schwächer gewählt.

Was, wenn die AfD tatsächlich stärkste Kraft werden sollte?

Sofern in einem oder mehreren der Bundesländer mit den Landtagswahlen 2024 die AfD stärkste Kraft wird, wird es zu einer unmittelbaren Verfinsterung des politischen Klimas kommen. Denn traditionellerweise stellt die stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten bzw. die Landtagspräsidentin. Hier beginnt schon das erste Dilemma: soll man einer Konvention folgen, auch wenn das das Durchwinken der Provokationen der AfD, anders als bisher, zur Folge haben würde?

Natürlich kommt es in der Frage der entsprechenden Koalitionen vor allem auf die Konservativen an, dass deren politische Brandmauer gegen Rechts, von Friedrich Merz zum Amtsantritt noch einmal bekräftigt, auch tatsächlich steht (vgl. Levitsky/Ziblatt: 2018). Da es ein Jahr vor der Bundestagswahl

ist, kann davon ausgegangen werden, dass der Druck aus der CDU-Bundeszentrale groß genug sein wird, keine Koalition einzugehen, um westdeutsche Wählerinnen und Wähler nicht zu verschrecken. Allerdings wird sich in Thüringen mit ziemlicher Sicherheit, in den anderen Ländern möglicherweise, das Problem stellen, dass ohne DIE LINKE keine demokratische Regierung gegen die AfD möglich ist. Hier darf man dann auf die Reaktionen von Friedrich Merz hoch gespannt sein. Hinzu kommt das Problem, dass die konkreten Akteurinnen und Akteure in den Kenia-Koalitionen voneinander hochgradig genervt sind und kaum eine Lust auf eine Fortsetzung haben werden, es aber kaum andere Möglichkeiten geben wird (je nachdem, ob die FDP wieder in die Landtage einzieht).

Viel wichtiger jedoch: Mit starker Flankierung der Springer-Presse wird das geschehen, was jetzt bei der Berlin-Wahl passiert ist, nämlich dass normativ eingefordert werden wird, dass die stärkste Partei auch den Ministerpräsidenten stellt (alle designierten Spitzenkandidaten sind männlich), oder zumindest an der Regierung beteiligt. Wenn das nicht geschieht, wird die AfD dies in Form von Demokratieverdrossenheit und der weiteren Zuspitzung von generalisiertem Institutionenmisstrauen genüsslich auskosten. Slogans wie „Es ist nur dann eine Demokratie, wenn den Altparteien das Ergebnis passt“ sind absolut erwartbar.

Sich dann hier souverän zu verhalten, interne Differenzen zwischen den handelnden Personen hintenanzustellen, und klar zu begründen, dass zur Regierungsmacht auch die Fähigkeit gehört, Mehrheiten tatsächlich herzustellen, und dass es ein Unding ist, wenn eine Partei ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen regieren soll, die innerlich eine autoritär-nationalradikale Gesellschaft (Heitmeyer: 2018) anstrebt, das wird schwierig werden.

Die finale Frage: was kann denn noch getan werden, um die AfD als stärkste Kraft zu verhindern

Hierzu gibt es keine einfachen und nicht nur bequeme Antworten. Sie sollen dennoch gegeben werden, da eine Handlungsableitung stets genauso spannend ist wie eine politologische Situationsanalyse.

  1. benötigen die demokratischen Parteien ein positives, ein empowerndes Narrativ (Wehling: 2016; Lakoff: 2014) für Ostdeutsche und Ostdeutschland. Die Forderung des brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke nach einem neuen ostdeutschen Selbstbewusstsein ist prinzipiell richtig, muss allerdings substanziiert werden.
  2. braucht es klare Regelungen für und Begrenzungen der Zuwanderung. Denn ansonsten wird die Erzählung der AfD von der weiteren Überfremdung des Landes (vgl. Fuchs/Middelhoff: 2019) weitere Resonanz erfahren. Dazu gehört natürlich auch eine deutlich großzügigere finanzielle Unterstützung des Bundes an die Kommunen. Denn sonst werden diese wieder harte Entscheidungen treffen müssen wie die Einstellung freiwilliger kommunaler Leistungen oder die Kürzung bei bestehenden Angeboten. Genau dies wiederum treibt Menschen direkt in die Arme der AfD.
  3. sollten alle Regierungskoalitionen sich auf ein entsprechendes Wahlkampfmoratorium der Streitigkeiten verständigen und dieses auch einhalten. Im Falle von Thüringen sollte zumindest der Versuch unternommen werden, hier die CDU mit einzubeziehen.
  4. sollten alle demokratischen Fraktionen immer wieder die inhaltliche Konfrontationsstrategie gegenüber der AfD wählen, die darin besteht, sie zunächst ernst zu nehmen, und sie dann mit der Frage zu konfrontieren, welche konkreten Lösungen sie für die Probleme X, Y und Z hat. Häufig kommt dort nichts, oder Forderungen die grundgesetzwidrig sind. Genau dies kann aber Wählerinnen und Wähler, die zwischen der CDU und der AfD schwanken, ins Nachdenken bringen.
  5. ist die Biografiearbeit, welche in Teilen der sächsische Ministerpräsident bei seinen Zuhörtouren veranstaltet hat, im Grunde richtig. Der Erfolg des Buches von Dirk Oschmann: „De r Osten. Eine westdeutsche Erfindung“ zeigt, dass es nach wie vor ein Bedürfnis gibt, über Kränkungen, Bevormundungen und Unterlegenheitsgefühle zu sprechen. Diese biografische Emotionsarbeit hat früher die PDS gemacht, allerdings ist DIE LINKE aufgrund der Überalterung dazu nicht mehr in der Lage. In diese Lücke sollten die anderen Parteien stoßen, gerade in ländlichen Regionen. Jedoch geht es jetzt auch darum, ein positives Zukunftsbild des Ostens zu zeichnen, diesen als Pionier der Veränderung aufzuwerten.
  6. sollte der Fokus auf lebensweltlich relevanten Themen liegen. Wie können die Inflationsfolgen abgemildert werden, wie der Pflegeplatz bezahlt, wie die Heizung bezahlbar ausgetauscht. Der Osten ist schon deshalb nicht so postmaterialistisch, weil er materiell deutlich schlechter gestellt ist als die alten Bundesländer, in denen sieben Jahrzehnte lang nahezu ungestört Vermögen ungleich akkumuliert werden konnte. Das Durchrechnen, aber auch das bezahlbar-machen ist vielen Menschen einfach wichtig, und entspricht schlicht ihrem notwendigen Eigeninteresse.
  7. brauchen alle Landesregierungen eine klare Erfolgskommunikation, um dem Schlechtreden der AfD etwas entgegenzusetzen. Es ist eminent wichtig, dass klar wird, was erreicht wurde. Vor allem soll deutlich werden, was erreicht werden soll. Dies ist auch deutlich erfolgsversprechender, als ständig vor der AfD zu warnen. Denn aus der Forschung zur gedanklichen Bahnung (Priming) wissen wir sicher: auch was verneint wird, wird aktiviert.
  8. und durchaus im Widerspruch zu siebtens, sollten die demokratischen Parteien klar herausstellen, wofür sie stehen, wofür sie in den jeweiligen Koalitionen gekämpft und was sie durchgesetzt haben, und was ihre wichtigsten Themen sind. Denn Themenwahlkämpfe erschweren den Rechtspopulisten das Geschäft, und sie unterminieren die AfD-Rhetorik des „Meinungskartells der Altparteien“. Es darf eben nicht der Eindruck entstehen, dass es eine Wahl zwischen der AfD und „den anderen“ ist (Koppetsch: 2019). Genau darauf setzt nämlich die AfD, und das darf ihr nicht gelingen. Denn ansonsten ist sie als stärkste Kraft nahezu unvermeidlich.

Literatur

Amlinger, Carolin/Nachtwey, Oliver (2023). Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus. Berlin: Edition Suhrkamp.

Bednarz, Liane/Giesa, Christoph (2015). Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte. München: Hanser.

Buchmayr, Florian (2022). Variationen politischen Denkens – Eine milieutheoretische Untersuchung politischer Einstellungsmuster. Zeitschrift für Soziologie, 51 (4), S. 385-403.

Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Heller, Ayline/Brähler, Elmar (2022). Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Leipziger Autoritarismusstudie 2022. Gießen: Psychosozial Verlag.

Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Schuler, Julia/Handke, Barbara/Pickel, Gert/Brähler, Elmar (2020). Die Leipziger Autoritarismus Studie 2020: Methode, Ergebnisse und Zeitverlauf. Gießen: Psychosozial Verlag, S. 27-88.

Frei, Norbert/Morina, Christina/Maubach, Franka/Tändler, Maik (2019). Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus. Berlin: Ullstein Buchverlage.

Fuchs, Christian/Middelhoff, Paul (2019). Das Netzwerk der Neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert, und wie sie die Gesellschaft verändern. Hamburg: Rowohlt.

Heitmeyer, Wilhelm (2018). Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung. Berlin: Edition Suhrkamp.

Hillje, Johannes (2018). Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen. Bonn: Dietz.

Jörke, Dirk/Selk, Veith (2017). Theorien des Populismus. Hamburg: Junius.

Kipping, Katja (2016). Wer flüchtet schon freiwillig? Die Verantwortung des Westens oder warum sich unsere Gesellschaft neu erfinden muss. Frankfurt am Main: Westend.

Koppetsch, Cornelia (2019). Die Gesellschaft des Zorns. Rechtsppulismus im globalen Zeitalter. Bielefeld: Transcript.

Köpping, Petra (2018). Ostdeutschland oder das große Beschweigen. Wie die Fehler der Nachwendezeit unsere Demokratie vergiften. Blätter für deutsche und internationale Politik, 10, S. 41-52.

Levitsky, Steven/Ziblatt, Daniel (2018). How Democracies Die. New York: Crown.

Lakoff, George (2014). The all new don´t think of an elephant. Know your values and frame the debate. New York: Basic Books.

Marian, Hans-Gerd/Müller, Michael (2020). Der Kampf um Lebensraum. Braune Ideologen im Natur- und Umweltschutz. Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 81-89.

Mason, Paul (2022). Das radikale Böse. Die unheimliche Wiederkehr des Faschismus. Blätter für deutsche und internationale Politik, 6, S. 41-50.

Mau, Steffen (2020). Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft.

Müller, Jan-Werner (2016). Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin: Edition Suhrkamp.

Ötsch, Walter/Horaczek, Nina (2017). Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung. Frankfurt am Main: Westend Verlag.

Pendry, Louise (2014). Soziale Kognition. In Jonas, Klaus/Hewstone, Miles/Stroebe, Wolfgang (Hg.). Sozialpsychologie. Berlin: Springer Wissenschaft. S. 107-140.

Pörksen, Bernhard (2019). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Carl Hanser Verlag.

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Scharenberg, Albert (2008). Die doppelte Linkspartei. Blätter für deutsche und internationale Politik, 5, S. 5-8.

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Von Lucke, Albrecht (2020). Widerstand 2020: Wer reitet die Coronawelle? Blätter für deutsche und internationale Politik, 6, S. 5-8.

Wehling, Elisabeth (2016). Politisches Framing. Wie sich eine Nation ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Hamburg: Rowohlt.

Zellner, Wolfgang (2022). Krieg bis zur Erschöpfung? Warum wir eine langfristige Strategie gegenüber Russland brauchen. Blätter für deutsche und internationale Politik, 6, S. 61-68.


Dr. Moritz Kirchner

Institut für Kommunikation und Gesellschaft, Potsdam


Ich versichere persönlich, diesen Text eigenständig und ohne die Hilfe Künstlicher Intelligenz verfasst zu haben.