1. In der Politik muss man sich nicht selten zwischen einer schlechten und einer sehr schlechten Lösung entscheiden.
Genau in diese Kategorie fällt diese Entscheidung des sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff. Die sehr schlechte Lösung wäre die gewesen, am Mittwoch im Medienausschuss den Showdown zu wagen und damit eine unkontrollierbare politische Kettenreaktion in Gang zu setzen, deren Anfang (nicht deren Ende) das Platzen der Kenia-Koalition gewesen wäre. Diese Lösung ist dennoch schlecht, weil auch damit das Grundproblem einer Koalition ohne Vertrauen und Gemeinsamkeiten, aber auch das unklare Verhältnis der CDU-Landtagsfraktion zur AfD geklärt ist.
2. Die große Siegerin des Tages ist leider die AfD.
Sie kann sich jetzt hinstellen und richtigerweise sagen, dass es ihre Lösung war, die jetzt geschieht, und sich einmal mehr erfolgreich als Rebellin inszenieren, welche zudem den „Altparteien“ ordentlich eins ausgewischt und die Kenia-Koalition in tiefe Turbulenzen gebracht hat.
3. Die jetzige Lösung ist das Ergebnis tiefer Risse und Machtkämpfe innerhalb der sachsen-anhaltinischen CDU.
Denn jetzt, wo das Thema ausgesetzt wird und damit es ein faktisches Nein ist, hat sich ja doch die Position der Landtagsfraktion durchgesetzt, vor welcher der Ministerpräsident nun aus Abwägungsgründen eingeknickt ist. Der politische Flurschaden ist allerdings immens, denn die CDU hat den Innenminister und Landesvorsitzenden verloren, der geschasst wurde bzw. werden musste, und es hat sich gezeigt, dass Reiner Haseloff keine wirkliche Autorität mehr in der CDU-Fraktion besitzt. Damit aber ist es jetzt eigentlich unmöglich, ihn tatsächlich zum Spitzenkandidaten 2021 zu machen.
4. In der Betrachtung der Vorgänge wirkt natürlich nach, dass es sich um einen ostdeutschen Landesverband handelt.
Denn schon in Thüringen hat sich gezeigt, dass es eine teils auch historisch bedingte Allergie gegen Ansagen aus Berlin gibt. Denn das kennen und verabscheuen viele Abgeordnete noch aus dem Vorgängerstaat.
5. Die jetzige Situation ist auch für die Koalitionspartner kein Erfolg, aber dennoch kausal auf ihr Wirken zurückführen.
Denn beide sind mit der Maximalposition in diesen Showdown gegangen, dass eine Ablehnung das Ende der Koalition bedeuten würde. Jetzt gab es die Ablehnung durch die Hintertür des von-der-Tagesordnung-nehmens, weshalb jetzt natürlich Deeskalation gefragt ist. Der reine Sachverhalt allerdings, die Steigerung der Rundfunkgebühren, ist natürlich im Land unpopulär, und das könnte ein Malus im Wahlkampf werden.
6. Der Vorgang zeigt einmal mehr die Dysfunktionalitäten des deutschen Föderalismus.
Denn wenn ein Bundesland (genau genommen eine Fraktion in einem Bundesland) ausreicht, um faktisch ein Veto gegen 15 andere Bundesländer zu haben, dann stellt sich perspektivisch die Frage der Handlungsfähigkeit. Das Thema Föderalismusreform bleibt also auf der Tagesordnung.
7. Es derzeit vollkommen Hinsicht unklar, wie es jetzt mit dieser Koalition weitergehen soll.
Denn die programmatischen und vor allem kulturellen Brüche wurden offenkundig, und sie zeigen sich verdichtet in dem Interview, welches Holger Stahlknecht der Magdeburger Volksstimme gab, und welches dann zu seiner Entlassung führte. Aktuell lässt sich überhaupt nicht sagen, wer eine integrative und zusammenführende Figur sein kann, und die Fliehkräfte sind massiv. Jedoch wäre es zum Schaden aller Koalitionsparteien, wenn das bis zur Wahl im Sommer 2021 so weitergeht
8. Dieses Problem aber stellt sich verstärkt nach der Wahl.
Denn eine substanziell andere Regierungskoalition ist, zumindest im Lichte aktueller Umfragewerte, überhaupt nicht in Sicht. Allerdings krankte diese Kenia-Koalition schon von Anfang an daran, dass sie ein reines Zweckbündnis zur AfD-Abwehr war, welches weder eine eigene Erzählung noch eine eigene politische Kultur noch das notwendige Maß an Geschlossenheit an den Tag legte. Dieses dann aber noch einmal aufzulegen, am besten noch mit fast unveränderten Protagonisten, ist eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt.
9., resultierend aus achtens: Es wird sich für die CDU wahrscheinlich erneut die Gretchenfrage stellen, wie ernst sie ihren doppelten Unvereinbarkeitsbeschluss (keine Zusammenarbeit mit der LINKEN und AfD) stellt.
Denn diese Parteien haben zusammen derzeit 40%, und die einzige Koalition jenseits davon hat sich gerade offensichtlich diskreditiert. Daher ist für die CDU das Dilemma nach der Wahl, ob sie eine eigentlich nicht erneut auflegbare Koalition reaktiviert oder mit einem ihrer Dogmen bricht. Da dies dann allerdings drei Monate vor der Bundestagswahl geschieht, wird die Bundesebene mit Argusaugen darüber wachen.
10., resultierend aus neuntens: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in Sachsen-Anhalt das erste Mal das Tabu einer Zusammenarbeit von CDU und AfD fällt.
Dabei wäre es durchaus möglich, dies als „Magdeburger Modell 2.0“ zu verkaufen, denn die damalige Tolerierung des Ministerpräsidenten Reinhard Höppner (SPD) durch die damalige PDS war auch ein Tabubruch, und ist absehbar, dass dann dieses Bündnis als rhetorische Relativierung genutzt werden wird. Allerdings würde Sachsen-Anhalt dann erneut, genau wie in diesem Falle, massive Auswirkungen auf die Bundespolitik haben.
11. Der rein inhaltliche Streitpunkt, nämlich die Erhöhung der Rundfunkbeiträge, wird natürlich durch die immensen politischen Implikationen völlig überlagert, was durchaus schade ist.
Denn bestimmte Argumente der CDU-Fraktion, wie die Frage nach den gezahlten Gehältern, den eigenen Sparanstrengungen, vor allem aber der zu starken Präsenz städtischer und westdeutscher Perspektiven sind aus sachsen-anhaltinischer Perspektive durchaus legitim. Genau diese Diskussionen aber, und das ist der produktive Kern des Vorgangs, werden jetzt geführt werden müssen, da vorbehaltlich erwartbarer Klagen der Rundfunk jetzt im Ergebnis ja mit weniger Geld auskommen muss. Dieser Diskurs ist aber das einzig freundliche an dem Vorgang.
12. Der Konflikt ist Symptom eines zunehmenden Stadt-Land-Konfliktes innerhalb der Gesellschaft.
Denn es gibt kaum ein Bundesland, welches ländlicher geprägt ist als Sachsen. Und in der Art der Ablehnung seitens der CDU spiegelt sich auch eine Ablehnung des Linksliberalismus, der eher in den Städten verortet ist, sowie der urbanen und medialen Eliten in den Rundfunkzentralen wider. Solche Konflikte wird es in Zukunft noch viel häufiger, da die Gräben zwischen Stadt und Land sowohl politisch als auch ökonomisch als auch kulturell) eher größer als kleiner geworden sind.