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Anne Will 31.03.2019

Anne Will 31.03.2019 – Streiten statt Pauken – Eine Analyse

Anne Will war gestern, am 31.03.2019, höchst aufschlussreich. Endlich wurde mal über ganz grundsätzliche Fragen diskutiert, und über die Gegenwart hinaus. Stark fand ich Harald Lesch, der die Dringlichkeit des Handelns, aber auch die Ignoranz wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Politik klar herausgearbeitet hat. Der Beitrag von Kubicki war mir nicht klar, denn das einzig relevante war sein neoliberales Argument, dass Menschen auf Preissignale reagieren und deshalb eine sinnvolle Marktsteuerung da sein muss. Therese Kah hat ihre Sache leidenschaftlich vertreten und hätte dies noch mehr tun können, wenn Anne Will ihr nicht mehrfach ins Wort gefallen wäre. Dass sie dies gegenüber Reiner Haseloff nicht tat, war echt bedauerlich, denn dieser 7-Minuten-Monolog eines weißen alten Mannes hatte wirklich kaum inhaltlichen Mehrwert. Und dass Sachsen-Anhalt ein Vorbild sein kann, glaubt wirklich nur er.

„Das glauben Sie!“

Daher war der (ungewöhnliche) Zwischenruf aus dem Publikum „Das glauben Sie“ mehr als berechtigt. Aber immerhin konnte er mit Fachwissen aufwarten. Robert Habeck hat stark angefangen, vor allem mit dem Verweis auf die Erziehung zur Mündigkeit, und er hatte m.E. auch den besten Spruch des Abends: „Die Schülerinnen und Schüler streiken ja gerade weil sie in der Schule aufgepasst haben“. In der zweiten Hälfte war das aber zu viel Klein-Klein. Und seine Körpersprache ist echt nicht optimal, wenn er nicht redet.

Die psychologische Erkenntnis des Abends

Ich hab lange darüber nachgedacht, ob die Frage Anne Wills an Greta Thunberg bezüglich ihres Asperger-Autismus nicht übergriffig ist, und würde das immer noch mit ja beantworten. Allerdings kam ja dann eben raus, dass so ein Rationalismus und auch eine Konsequenz und Rationalität in ihrem Handeln steckt, die es sonst so vielleicht nicht geben würde. Dass ihre Mutter, die eine international anerkannte Opernsängerin ist, jetzt auch nur noch Zug fahren darf, ist jedenfalls konsequent . Das jedenfalls war für mich die psychologische Erkenntnis des Abends, dass Menschen mit einem Asperger kognitive Dissonanzen (also sich widerstreitende Gedanken bzw. Handlungen) nicht aushalten können, und deshalb in ihrem Denken und Handeln so konsequent und kompromisslos sind.

Und kurze argumentative Diskursanalyse zu den Fridays for future, beispielhaft an der gestrigen Diskussion:

1. Rechtsstaatsargument: Es gibt eine Schulpflicht, und die wird gebrochen (Kubicki, Hasselhoff)
–> Ja, aber Schule hat einen umfassenden Bildungsauftrag, der explizit die Erziehung zur Mündigkeit beinhaltet (Habeck, korrekt).
–> Das ist der positivistische Standpunkt, dass Recht ist, was im Gesetz steht. Jedoch waren gesellschaftliche Veränderungen (fast) immer mit zivilem Ungehorsam verbunden, und aus naturrechtlicher Perspektive sind die Klimaproteste absolut legitim.

2. Dammbruchargument: Dann kann aber für jedes Thema gestreikt werden (Kubicki)
–> Empirische Antwort: Ist noch nicht passiert, ergo spekulativ
–> prinzipiell: Beim Klimawandel geht es um ein Allgemeininteresse, um die notwendige Bedingung unserer Fortexistenz. Genau deshalb ist dieses Thema so legitim

3. Utilitaristisches Argument I: Die Streiks bringen doch nix fürs Klima (Kubicki)
–> Das Thema ist jetzt voll in der Politik angekommen, und es wird endlich Rechtfertigungsdruck aufgebaut
–> Zukünftige Politik wird gezwungen sein, die Interessen der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen, schon aus politisch-demographischem Eigeninteresse. Folglich mag es keinen unmittelbaren Effekt haben, sehr wohl aber einen mittelbaren.

4. Utilitaristisches Argument II: Sollen sie doch lieber Umweltprojekte machen oder Naturwissenschaften studieren (Haseloff)
–> völlig richtig: dazu ist der Handlungsdruck jetzt schon viel zu hoch (Therese Kah)
–> es braucht gesamtgesellschaftliches, politisches Handeln und Entscheiden, nicht nur einzelne Projekte, um ein solch kolossales Problem zu lösen.

Ich würde dem bisherigen Diskurs Folgendes hinzufügen:

– Gerade dass die Schülerinnen und Schüler bereit sind, Fehlstunden oder gar schlechte Noten in Kauf zu nehmen, zeigt doch, dass sie bereit sind, Opfer zu bringen. Genau damit sind sie doch konsistent in ihrem Handeln, denn die Bewältigung der Klimakrise wird auch ihren persönlichen, individuellen Preis haben
– Natürlich ist es ein Streik, denn in der Schule zu sein ist gesellschaftliche Arbeit seitens der Schülerinnen und Schüler. Genau diese wird dann eben Freitags verweigert, um eine andere Seite (in diesem Falle Politik und Gesellschaft) zum Handeln zu bewegen
– welches andere Mittel, welches für Politik und Gesellschaft relevant ist, sollen sie denn wählen? Nur ein Teil kann an politischen Wahlen teilnehmen, niemand ist jetzt in Entscheidungspositionen.

In jedem Fall: Trotz moderatorischer Schwächen endlich mal eine Diskussion auf der Höhe der Zeit.