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Warum die Digitalisierung perspektivisch zum unterkomplexen Utilitarismus führt

In der Philosophischen Ethik gibt es mehrere relevante Schulen, die jeweils für sich beanspruchen zu sagen, was normativ richtig, also rechtes Handeln ist. Der Kantianismus fordert uns auf, so zu handeln, dass 1) der Mensch immer Zweck und niemals Mittel sei (Was schlussendlich stark unserem heutigen Verständnis von Menschenwürde entspricht, und 2) dass die Maxime unseres Handelns zur allgemeinen Gesetzgebung taugen soll (der berühmte „kategorische Imperativ“). Kant in einfachen Worten lautet: „Wenn jeder so handeln würde…“

Der Utilitarismus (präziser eigentlich: der Konsequentialismus) sagt, dass entscheidend für das rechte Handeln das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl sei. Hierbei zählt das Glück jedes Menschen gleich. Zusammengefasst könnte man ihn so beschreiben: „Entscheidend ist, was am Ende für Glück für alle dabei herauskommt

Die aristotelisch geprägte Tugendethik geht davon aus, dass das Handeln moralisch richtig ist, welches menschliche Tugenden herausbildet, und dass Tugenden besser durch aktives Handeln denn durch Belehrung vermittelt werden. Wenn also unser Handeln zu unserer und anderer Tugendhaftigkeit beiträgt, so ist es moralisch richtig.

Der unter anderem auf John Rawls zurück gehende Kontraktualismus hingegen lehrt, dass ein Verhalten dann rechtens ist, wenn sich zwei Menschen darauf geeinigt haben, wenn es einen klaren Kontrakt gibt, dem Menschen aus freien Stücken zugestimmt haben. Selbst wenn der Inhalt dieses Kontraktes für andere schwierig sein mag, entscheidend ist, dass „der Vertrag eingehalten wird“. Und Verträge können bekanntlich auch mündlich geschlossen werden.

Jede dieser vier ethischen Schulen hat auch ganz viele Probleme und Schwachstellen, und darum geht es mir nicht. Sondern darum, dass im Ausgangspunkt und bisher jede hiervon Geltung beanspruchen konnte, und es eher eine Frage der logischen Kohärenz, der Anwendbarkeit und Verallgemeinerbarkeit einer gewissen Ethik war, welche denn nun die Richtige oder eben die theoretische Verkörperung der Gerechtigkeit sei.

Nun aber, durch den entsprechenden technischen Fortschritt und die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft, die letztendlich eine Mathematisierung ist, stellt sich nicht mehr die Frage, welche dieser Ethiken die Richtige ist, sondern welche sich am leichtesten in Formeln packen lässt. Das wiederum ist klar der Utilitarismus, sofern man eine passende Operationalisierung von Glück findet (die es schon gibt). Dies aber wird wahrscheinlich dazu führen, dass sich diese Ethik qua technologischer Infrastruktur durchsetzen wird, damit allerdings die anderen Ethiken an Relevanz verlieren, und wir damit wahrscheinlich moralisch unterkomplexer werden. Denn selbst wenn es das größtmögliche Glück hervorruft, sollten Menschen nicht zu etwas gezwungen werden, weil sie dann Mittel zum Zweck sind, wie Kant treffend einwirft. Wenn wir ein Exempel an Menschen statuieren, mag dies insgesamt abschreckend wirken und damit langfristig das Glück optimieren. Die Statuierung des Exempels selbst bringt jedoch häufig die niedersten Instinkte und nicht unsere Tugenden hervor. Und es ist immer schön, wenn wir selbst die Vertragsbedingungen definieren, und nicht der Algorithmus.

Diese Fragen sind angesichts des aufkommenden autonomen Fahrens, der zunehmend algorithmisierten Kriegsführung in der Ukraine und zunehmend automatisierte Rechtsgutachten auch von aktueller Brisanz. Es tut Not, dass die ethische Reflexion der Gesellschaft mit ihrer technologischen Entwicklung Schritt hält.