Der Kabarettist Florian Schroeder wurde eingeladen, bei den Anti-Corona-Protesten von Querdenken zu sprechen, und er hat mit den Mitteln der Rhetorik und Satire diese Veranstaltung faktisch geistig gesprengt. Seine Rede war eine Dekonstruktion dieser Demonstrationen, welche eindrucksvoll wie schonungslos die inneren Widersprüche dieser Proteste offengelegt hat. Nicht umsonst ist diese Rede viral gegangen. Doch was genau hat sie so gut gemacht?
Captatio Benevolentiae – Die Ergreifung des Wohlwollens des Publikums
Ein Klassiker der römischen Rhetorik ist die Ergreifung des Wohlwollens des jeweiligen Auditoriums am Anfang einer Rede, die so genannte captatio benevolentiae (Stroh, 2008; Merklin, 1997). Hier geht es vor allem darum, Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen zu finden, um dann mehr Glaubwürdigkeit und Sympathie zu bekommen, was die Überzeugungskraft der Rede steigert (Edmüller & Wilhelm, 2014; Knape, 2000).
Doch wie hat er das genau geschafft? Erstens, indem er süffisant gegrinst hat, als er sagte, ich komme aus dem Mainstream. Dies wirkte zunächst so, als würde er diesen auch verachten. Zweitens hat er ganz am Anfang behauptet, dass er die Wahrheit sage, was ja auch das Selbstverständnis vieler dieser Teilnehmer ist, die eine Verschwörung und dahinter eine tiefere Wahrheit vermuten (Butter, 2018). Ebenso hat er Stuttgart mit dem Grundwert der Freiheit (vgl. Haidt, 2012) verknüpft und damit dem Publikum geschmeichelt. Ebenso sprach er die Menschen als „liebe Freundinnen und Freunde“ an, und dies mehrfach. Insbesondere aber durch den Satz „Wer braucht schon Berlin, wenn er Stuttgart haben kann“ schuf er anfangs eine besondere Übereinstimmung mit dem Publikum sowie eine geteilte soziale Identität. Er erschien, geographisch, wertetechnisch und ideell, dem Publikum wie „einer von uns“.
Stuttgart, Hegel und die Selbstaufwertung
Diese regionale Verbundenheit und Schmeichelei wurde dann zum Ausgangspunkt genommen, um zu Hegel überzuleiten, was dann dem Publikum suggerierte, an einem geistig besonders erhabenen Orte zu sein. Es war also eine indirekte Selbstaufwertung und damit einhergehend ein Gefühl, etwas Besonderes zu sein, welches er suggerierte (vgl. Reckwitz, 2018). Eigentlich ging es ihm allerdings darum, seine logische Argumentation anhand der Hegelschen Dialektik vorzubereiten. Diese war dann durchaus verkürzt dargestellt, aber er konnte damit zeigen, dass es auch ihm um ein Querdenken geht, nur eben ein anderes.
Verbaler Proletarismus und Kontrasteffekt
Nachdem er eine sehr intellektuelle Passage einlegte, spielte er danach bewusst mit dem psychologischen Kontrasteffekt. Er wirkte erst sehr klug, um dann bewusst vulgär zu erscheinen, um damit dem Inhalt der sprachlichen Vulgarität mehr Aufmerksamkeit zu geben. Indem er über das Blasen mit Mundschutz sprach, welches logisch natürlich unmöglich ist, erschien er nicht intellektuell abgehoben, sondern wie jemand, der Klartext redet, und zugleich „den anderen“ zeigt, dass sie dumm sind. Diesen Grundmechanismus der Abwertung der Anderen, insbesondere der regierenden Eliten (vgl. Jörke & Selk, 2017; Müller, 2016) bedient er hier. Genau damit aber wird er zu einer richtig starken Identifikationsfigur für das Publikum. Denn gerade dadurch, dass auch jemand aus dem Mainstream derart die vermeintlichen Eliten herunterputzt, wirkt er besonders glaubwürdig. Und der Kontrast zu dem, was er später sagt, könnte kaum größer ausfallen.
Das Füttern der Intuitionen des Publikums
Florian Schroeder stellt die rhetorische Frage, ob die Medien gesteuert sind, und liefert dann Beispiele aus dem Gesundheitsministerium sowie dem RKI, welche genau in diese Erzählung gesteuerter Medien passen, nur um dann aber aufzuzeigen, dass diese sich korrigieren können.
Gerade durch die scheinbare verbale Herabsetzung des Robert-Koch-Instituts als „Viertligist, der es aus Zufall und aus Versehen in die Champions League geschafft hat“, konnte er noch einmal ein Feindbild des Publikums attackieren, um dann aber anzuzeigen, dass das Material der Attacken aus dem Mainstreammedien wie dem Spiegel oder der ZEIT kommt. Wenn das aber so ist, können die Medien nicht gesteuert sein. Was er hier macht, ist die Intuitionen des Publikums zu bedienen und es damit rhetorisch selektiv zu umarmen, um dann über logische Schlüsse aufzuzeigen, warum es irrt.
Florian Schroeder und die sokratische Mäeutik
Genau darin erinnert die Methode Florian Schroeders an die des Sokrates im alten Athen. Er hinterfragt die Grundannahmen, um so als Geburtsthelfer für neue Meinungen zu agieren. Am eklatantesten wird dies, als er in einer Anspielung auf den berühmten Satz von Joseph Goebbels („Wollt ihr den totalen Krieg“) fragte, ob das Publikum die totale Meinungsfreiheit wolle. Damit zeigte er auch dessen Verführbarkeit für rechtes Gedankengut auf. Vor allem aber machte er deutlich, dass wenn jemand für totale Meinungsfreiheit ist, er dann nicht denjenigen ausbuhen kann, der Corona für gefährlich erachtet. Damit hat er dann aber aufgezeigt, dass die normativ von den Demonstranten eingeforderte Meinungsfreiheit nur für ihre eigenen Meinungen gilt, sie diese aber für andere Meinungen oder den Mainstream faktisch nicht gelten lassen. Der performative Widerspruch wurde so auf die Spitze getrieben (vgl. Zorn: 2019; Bednarz & Giesa: 2015). Genau so ging damals schon Sokrates vor, indem er dem anderen den Widerspruch ihres Denkens aufzeigte.
Ebenso zeigte er auf, dass es mit der Prämisse einer Diktatur unvereinbar ist, dass die Teilnehmenden sich hier versammeln können und er frei sprechen darf, ohne irgendeine Konsequenz fürchten zu müssen. Denn genau das ist der Kern der Redefreiheit (Ash, 2016) und das Gegenteil einer Diktatur.
Das virtuose rhetorische Spiel mit dem Bestätigungsfilter
Doch bis weit in die Rede hinein spielt Florian Schroeder mit dem Bestätigungsfilter des Publikums. Er sagt ihm, was dieses hören will, um es bei der Stange zu halten, aber dann zu gänzlich anderen Schlussfolgerungen zu kommen. Eindrucksvoll gelingt es ihm in dem Satz „und trotzdem waren es in der Geschichte immer die Ausnahmezustände, die die zukünftige Diktatur vorbereitet haben“. Nachdem er erst verneinte, dass wir in einer Diktatur leben, und damit das Publikum irritierte, aktivierte er durch einen solchen Satz den Bestätigungsfilter (Pörksen, 2019), und es gab auch sofort Applaus.
Dasselbe gelingt, wenn auch nicht ganz so stark, mit der Anspielung auf die Situation von 1929. Auch hier wird erst einmal zugestimmt, um dann niedergebuht zu werden, als er aufzeigt, dass die Verschwörungstheoriker wohl die nächste Wirtschaftskrise mit verursachen werden.
In den Wert des anderen gehen und ihn dann drehen
Der Redner zeigt auf, dass er für die Freiheit steht, aber eben eine Freiheit in Verantwortung. Damit berührt er den Grundsatz, dass die Freiheit des einen dort endet, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird. Vor allem geht er hier, ob bewusst oder unbewusst, auf Hegel und dessen Verständnis von Freiheit als vernünftige Notwendigkeit ein.
Kondensiert wird dieser Zusammenhang von Freiheit und Vernunft in folgendem Satz: „Freiheit heißt Respekt haben“ „Eine Freiheit, die sich nur als Verantwortungslosigkeit zeigt, ist das Ende der Freiheit“ „Freiheit heißt, wenn wir sie vom Anfang her denken, vernünftig sein“. Vor allem macht er dann ganz zum Schluss Referenz zum Querdenken, und rundet damit seine Rede ab.
Fazit
Diese Rede war deshalb so stark, weil er höchst geschickt das Publikum umgarnte, um dann die Widersprüche seiner Glaubenssätze live auf der Bühne auf die Probe zu stellen und zu widerlegen. In diesem Sinne war es auch eine künstlerische Performance, was durchaus zu einem Kabarettisten passt. Er hat vor allem aber auch eines aufgezeigt: Indem man miteinander redet (Schulz von Thun & Pörksen, 2020), den anderen erst einmal akzeptiert und dann eine Beziehung aufbaut, um dann in die Argumentation zu gehen, kann man Leute erreichen, welche durch eine Konfrontation („Covidioten etc“) von vornherein nicht erreichbar wären. Was die Rede stilistisch auszeichnete (vgl. Allhoff & Allhoff, 2016): Sie war komplett frei vorgetragen, hatte eine sehr schöne Pausensetzung, der Blickkontakt war stets gegeben, genau wie die Kanalkongruenz von Inhalt, Stimme und Körpersprache.
Literatur
Allhoff, Dieter & Allhoff, Waltraud (2016). Rhetorik und Kommunikation. Ein Lehr- und Übungsbuch. München: Reinhardt.
Ash, Timothy Garton (2016). Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt. München: Hanser.
Bednarz, Liane & Giesa, Christoph (2015). Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte. München: Hanser.
Butter, Michael (2018). „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien. Berlin: Edition Suhrkamp.
Edmüller, Andreas/Wilhelm, Thomas (2014). Manipulationstechniken. So wehren sie sich. Freiburg: Haufe.
Haidt, Jonathan (2012). The righteous mind. Why good people are divided by politics and religion. New York: Basic Books.
Jörke, Dirk & Selk, Veith (2017). Theorien des Populismus. Hamburg: Junius.
Knape, Joachim (2000). Was ist Rhetorik? Stuttgart: Reclam.
Merklin, Harald (1997). Cicero. De oratore – über den Redner. Stuttgart: Reclam.
Müller, Jan-Werner (2016). Was ist Populismus? Ein Essay. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Pörksen, Bernhard (2019). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Carl Hanser Verlag.
Reckwitz, Andreas (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Edition Suhrkamp.
Stroh, Wilfried (2011). Die Macht der Rede. Eine kleine Geschichte der Rhetorik im alten Griechenland und in Rom. Berlin: List
Zorn, Daniel-Pascal (2019). Logik für Demokraten. Eine Anleitung. Stuttgart: Klett-Cotta.