Eine Koalition, die am Wahlabend nicht angezeigt wurde: Kenia oder die Triell-Koalition
Wir haben einen intensiven Wahlkampf erlebt, und es geht jetzt an die Frage der Umsetzung des Wahlergebnisses, bzw. an die entsprechende politische Übersetzung der Präferenzen der Wählerinnen und Wähler in Koalitionen. Mit dem Frame einer „Zukunftskoalition“ hat insbesondere die Union sehr massiv um die Grünen als Teil eines Dreierbündnisses, zusammen mit der FDP geworben. Olaf Scholz hat seine Präferenz für die Ampel deutlich gemacht und Christian Lindner einen sehr klugen politischen Schachzug, als er vorschlug, dass erst einmal Grüne und FDP sich beraten und die Königsmacher spielen. So wird natürlich der eigene politische Preis für die Koalitionsverhandlungen massiv hochgetrieben. Jedoch kann es sehr gut sein, dass ganz am Ende des Koalitionsprozesses ein Bündnis herauskommt, welches gestern Abend bei keiner Koalitionsoption angezeigt wurde: Die Kenia-Koalition, die jetzt auch als Triell-Koalition bezeichnet werden könnte.
Die Ampel dürfte an der FDP scheitern
Eine Ampelkoalition, bestehend aus SPD, Grünen und FDP ist das erklärte Wunschbündnis von Olaf Scholz und sein sicherer Weg ins Kanzleramt. Insbesondere in gesellschaftspolitischen Fragen gibt es hier viele Übereinstimmungen, auch der Wunsch nach einer Modernisierung und Digitalisierung des Landes eint alle drei möglichen Koalitionspartner.
Das Problem ist nur: Christian Lindner hat vorher explizit erklärt, dass er eine Koalition unter der Führung der CDU möchte. Man müsste ihm also einiges anbieten für eine lagerübergreifende Koalition, und dazu gehört unter anderem: Das Finanzministerium, das einzige mit Vetorecht. Wenn er jedoch Finanzminister würde, würde er insbesondere die ambitionierten Klimaschutzinvestitionen der Grünen blockieren. Ebenso ist unklar, wie sich diese Koalition hinsichtlich der Schuldenbremse überhaupt einigen könnte. Grüne und SPD wollen sie tendenziell abschaffen, Lindner hat sie in den Triellen zur Bedingung jeder Koalition mit der FDP erklärt. Die beiden anderen Koalitionspartner aber brauchen jedoch diese Abschaffung, insbesondere die Grünen, um ihre ambitionierte Agenda durchzusetzen. Andersherum wäre 12 Euro Mindestlohn und eine stärkere Besteuerung von Vermögenden etwas, was für die FDP schwer verdaulich wäre. Auch konterkarieren die Steuersenkungspläne der FDP stark die Programmatiken der anderen Parteien. Denn das Geld für Steuersenkungen wäre dann nicht für Klimaschutzprojekte, Infrastrukturinvestitionen, ein Bürgergeld etc. da. Das Problem ist also: Entweder verliert die FDP ihre Glaubwürdigkeit, oder SPD und Grüne relevante Teile ihrer Programmatik wegen des Einspruches des Finanzministers Lindner, so dass die Einigung schwierig wird. Die einzige Option wäre eine Schuldenbremse, die explizit Klimainvestitionen zulässt, und dann wird in einem Kuhhandel der Mindestlohn hochgesetzt, aber dafür gibt es keine weitere Besteuerung von Spitzenverdienern. Dieses Paket dürfte aber auch für die SPD schwer verdaulich sein. Fazit: Die Ampel ist in einem gewissen Bereich möglich, aber nicht so wahrscheinlich, wie sie derzeit erscheint.
Jamaika dürfte an den Grünen scheitern
Natürlich ist es für die Union und die FDP eine durchaus verlockende Option, gemeinsam mit den Grünen im zweiten Anlauf jetzt Jamaika zu realisieren. Denn das ist die einzige Chance der Union aufs Kanzleramt, und die beiden Wunschkoalitionäre wären in einer Koalition vereint. Allerdings wäre hier dann die Situation gegeben, dass die Grünen meist gegen die anderen Parteien stehen würden, und dass die Grünen ganz sicher nicht in allen ihnen wichtigen Themen (Klimaschutz, Verkehrswende, Landwirtschaft) auf substanzielle Zugeständnisse hoffen können, insbesondere auch weil der Lobbydruck auf die Union hier nach wie vor groß ist. Ebenso dürfte es seitens der CDU einige Zumutungen hinsichtlich der Innenpolitik und vor allem der Migrationspolitik geben, wo das Unionsprogramm doch recht konkret ist und für deutliche Restriktionen wirkt.
Ebenso hat Annalena Baerbock im letzten Triell klar erklärt, dass sie finde, die Union müsste jetzt einmal in die Opposition, und meist war die Union ja auch die Bremserin in Sachen Klimaschutz. Wenn man also jetzt für einen Aufbruch gekämpft hat, wäre diese Koalition den eigenen Wählerinnen und Wählern, aber auch erheblichen Teilen der Bundestagsfraktion nur schwerlich erklärbar. Ebenso müssten die Grünen dann erklären, warum ausgerechnet sie als Königsmacher für den unbeliebten Armin Laschet als Kanzler fungieren würden. Jedoch sollte sie hier auch das Eigeninteresse leiten: In der Klimapolitik ist Jamaika eine denkbar schwierige Koalition. Hierfür aber handfeste Erfolge zu erreichen, ist die Basis der Glaubwürdigkeit der Grünen, auch dafür, dass sie das Bündnis zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Fridays for future sowie den Jungwählerinnen und Jungwählern zu wahren und in 4 Jahren dann wieder hinsichtlich des Kanzleramtes angreifen zu können. Ebenso ist die Fraktion durch deutlich mehr Mitglieder der Grünen Jugend politisch klar nach links gerückt, und es dürfte eine deutliche Präferenz für ein Bündnis mit der SPD geben. Daher: es wäre sehr unwahrscheinlich, dass Jamaika klappt, und es wäre sehr unklug von den Grünen.
Das doppelte Dilemma der FDP
Die FDP steckt in der Koalitionsfrage gleich in einem doppelten Dilemma. Einerseits kann sie es sich nicht leisten, nicht zu regieren, da ihre Anhängerinnen und Anhänger genau dies von ihr erwarten. Nicht umsonst hat sich die Zustimmung zur Partei nach der Absage der Jamaika-Verhandlungen halbiert. Andererseits aber braucht die FDP eine klare Glaubwürdigkeit bei den eigenen Themen, und das bedeutet Steuersenkungen und die Beibehaltung der Schuldenbremse. Beide Komponenten sind zwar eigentlich inkompatibel miteinander, aber das war bisher ein FDP-Problem. Dann aber würde es ein gesamtes Koalitionsproblem werden. Und wenn dann auf einmal die FDP doch die Schuldenbremse beseitigt, oder noch schlimmer, es zu Steuererhöhungen z.B. durch die von den Grünen geplante CO²-Steuer kommt, hätte die FDP ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Dieses könnte fast eine Art Retraumatisierung auslösen, weil die FDP mit dem Versprechen von Steuersenkungen einst unter Guido Westerwelle in Rekordstärke in den Bundestag kam, dort allerdings dieses Versprechen nicht einlöste und dann sogar aus dem Bundestag rausflog. Genau dieses doppelte Dilemma, einerseits nicht nicht regieren zu können, andererseits aber eine zu sich selbst, vor allem aber zu den möglichen Koalitionspartnern inkonsistente Programmatik zu haben, macht die FDP nicht gerade zu einem attraktiven Koalitionspartner. Genau deshalb aber ist es so schwer, die FDP überhaupt zu einem Teil einer Koalition zu machen, weshalb es so wahrscheinlich ist, dass sie nicht Teil der Regierung werden wird.
Und auf einmal: Die Kenia-Koalition
Wenn dann deutlich geworden sein dürfte, dass weder Jamaika noch die Ampelkoalition klappt, stellt sich dann natürlich die Frage, welche Koalition es stattdessen wird, bzw. werden könnte. Sicher wird es dann auch das Planspiel geben, ob man nicht eine Große Koalition unter der Führung der SPD macht, weil dies ein stabiles, auch eingespieltes Bündnis ist, und die programmatischen Unterschiede sich auch halbwegs befrieden lassen. Die Union würde dies wahrscheinlich durchaus machen, weil für sie als Regierungspartei Opposition so richtig Mist ist, und sie keinen völligen Machtverlust erleidet. Allerdings würde die SPD das intern kaum verkauft bekommen, und die zunehmende Basisdemokratie der SPD sorgt ja dafür, dass es hierfür einen Mitgliederentscheid geben würde. Und nachdem der letzte Eintritt in eine Große Koalition für die SPD schon eine massive Zumutung wäre, wäre es dieser Eintritt erst Recht, auch unter Scholz als Kanzler, welchen die SPD bekanntlich ja nicht als Parteichef haben wollte. Es gäbe keine Erzählung, keinen Aufbruch, keine wirkliche Begründung für dieses Bündnis, aber eben auch nicht die Legitimation der sozialdemokratischen Parteibasis. Dies allerdings würde in einer Kenia-Koalition deutlich anders aussehen. Denn erstens wäre der Wunschkoalitionspartner mit an Bord, und es ließe sich klar die Geschichte spinnen, dass es eine sozial-ökologische Erneuerung samt innen- und außenpolitischer Sicherheit gibt, wobei die SPD dann hauptsächlich für den sozialen Teil der notwendigen Transformation zuständig ist bzw. ihn sich zuschreibt, die Grünen für Ökologie und Klimaschutz und die Union für die Sicherheit. In der Koalition wären dann in vielen Fragen die gestärkte SPD und die gestärkten Grünen gegen eine deutlich geschwächte Union, welche aber wohl selbst diese Koalition dem totalen Machtverlust vorziehen würde, und gleichzeitig die eigene notwendige Erneuerung vornehmen könnte, indem diese Regierungskonstellation auch auf sie abstrahlt.
Der Vorteil für die Grünen wäre, dass sie ja in dieser Koalition der Teil wären, der für den notwendigen ökologischen Aufbruch steht, und daher viel Beinfreiheit verlangen kann. Ebenso wäre der größte parlamentarische Bremsklotz einer effektiven Klimapolitik durch die Koalitionsdisziplin mit eingebunden. Der Vorteil für die SPD ist, dass sie dann eine stabile und breite Mehrheit hat, und Scholz sich als überparteilicher Kanzler präsentieren kann, welcher die drei größten politischen Strömungen des Landes vereint. Hinzu kommt, dass dieses Bündnis wohl auch das Plazet der SPD-Basis bekommen dürfte.
Der Bundesrat, baby!
Und dann gibt es noch einen sehr einfachen, aber sehr gewichtigen Grund, der für eine Kenia-Koalition bzw. Triell-Koalition spricht: die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Denn die anderen Konstellationen (Ampel und Jamaika) hätten es nicht so leicht im Bundesrat, während es ja nur sehr wenige Länder gibt, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist. Das heißt, die breite Bundestagskoalition hätte automatisch auch eine Mehrheit im Bundesrat, und könnte dann durchregieren. Auch das entspricht der ruhigen und sachlichen Art, mit der ein Kanzler Olaf Scholz Politik machen möchte. Ebenso ist vorstellbar, dass der Bundespräsident erneut in diese Richtung interveniert, nachdem die anderen Optionen gescheitert sind.
Daher lautet die Prognose: Dann, wenn die Ampel und Jamaika gescheitert sind, eröffnet sich der Möglichkeitsraum für die Kenia-Koalition bzw. Triell-Koalition. Allerdings könnte es auch gut sein, dass die FDP umfällt und es eine Ampelkoalition gibt. Denn eigentlich kann auch die FDP nicht noch einmal nicht regieren, wenn es dafür eine realistische Möglichkeit gibt.