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Zehn Gedanken zur Saarland-Wahl

Das Wahlergebnis im kleinsten Flächenland der Bundesrepublik ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert. Die Besonderheiten dieses Wahlergebnisses sollen hier analysiert werden.

Erstens: Erstmalig seit langem wird der Amtsinhaber bzw. die Amtsinhaberin aus dem Amt gewählt.

Bei fast allen vergangenen Landtagswahlen war es so, dass der Ministerpräsident bzw. die Ministerpräsidentin gestärkt wurde, egal ob Winfried Kretschmann, Dietmar Woidke, Bodo Ramelow oder Manuela Schwesig. Dies zeigt, dass Tobias Hans ein besonders unpopulärer MP war, aber auch, dass es ein Sondereffekt im Osten ist, dass die Ministerpräsidentenpartei besonders gewählt wird, um die AfD nicht zur stärksten Kraft zu machen.

Zweitens: Auch in einer ausdifferenzierten politischen Landschaft ist eine Hegemonie möglich.

Anke Rehlinger hat mit ihrer SPD ein phänomenales Ergebnis geholt. Sie ist nicht weit davon entfernt gewesen, jede*n Zweite*n zu überzeugen, was ein Wahlergebnis ist, welches gerade für die SPD noch vor einiger Zeit undenkbar war. Sie wird damit auch die bundesweit einzige Alleinregierung anführen. Wenn das Vertrauen in eine Person und eine Partei gegeben ist, kann also selbst in einer politisch sehr differenzierten Landschaft) immer noch die Vorherrschaft, die politische Hegemonie, möglich sein, und der Trend zu Multi-Parteien-Koalitionen ist kein Automatismus.

Drittens: Die „Zeitenwende“ kommt gut an und zahlt bei der Kanzlerpartei an

Die Saarland-Wahl war die erste Abstimmung seit der Bundestagswahl, und die erste seit der Sondersitzung des Bundestages, in der dramatische politische Veränderungen wie Waffenlieferungen an die Ukraine, aber auch die massive Aufrüstung der Bundeswehr beschlossen wurden. Und die Wählerinnen und Wähler scheinen dies zu goutieren und im besonderen Maße der Kanzlerpartei zuzuschreiben. Dies impliziert, dass die Fähigkeit zur Krisenkompetenz jetzt der SPD und Olaf Scholz zugeschrieben wird, und die gesellschaftliche Mehrzahl diese Zeitenwende für richtig erachtet.

Viertens: Zerstrittene Parteien werden nicht gewählt

Der alte Klassiker, jetzt einmal mehr mit Zahlen untersetzt. DIE LINKE hat sich selbst zerfleischt, mit Rauswürfen aus der Fraktion, einer Der alte Klassiker, jetzt einmal mehr mit Zahlen untersetzt. DIE LINKE hat sich selbst zerfleischt, mit Rauswürfen aus der Fraktion, einer Gegenfraktion und nicht zuletzt der Ankündigung ihres Fraktionsvorsitzenden Oskar Lafontaine, die Partei zu verlassen. Aber auch die Grünen hatten definitiv die 23 Stimmen bekommen, die ihr jetzt zum Einzug in den saarländischen Landtag fehlten, hätte es nicht diese Querelen um die Listenaufstellung bekommen. Die Wählerinnen und Wähler wollen Einheitlichkeit, Erkennbarkeit, vor allem aber Handlungskompetenz, und diese ist nicht gegeben, wenn eine Partei in der Öffentlichkeit erkennbar zerstritten ist.

Fünftens: Das Wahlergebnis wird parlamentarisch eine schwere Bürde für die Union.

Denn traditionell versteht sich die Union als Regierungspartei, und muss jetzt auf den harten Oppositionsbänken Platz nehmen. Vor allem aber ist die CDU dann jetzt gemeinsam in der Opposition mit der AfD, und die Frage ist, wie viel Gemeinsamkeit dann entstehen wird. Sich einerseits erst in der Oppositionsrolle finden zu müssen, andererseits sich innerhalb der Opposition dann von der AfD abzugrenzen wird eine schwierige Gratwanderung. Zudem ist es die erste, herbe Niederlage für Friedrich Merz, und die Wahlen in NRW stehen erst noch bevor.

Sechstens: Anke Rehlinger ist nach diesem Ergebnis automatisch in der ersten Reihe der SPD.

Das Saarland hat überproportional viele relevante politische Persönlichkeiten hervorgebracht, und zu diesen wird wohl auch Anke Rehlinger gehören, denn innerhalb der SPD gehört ihr nahezu automatisch die Zukunft. Sie hat einen fulminanten Wahlsieg errungen, habt bereits Regierungserfahrung als Wirtschaftsministerin, und steht für einen Aufbruch. Sie ist, anders als Malu Dreyer, gesundheitlich fit, hat anders als Franziska Giffey keine Plagiatsaffäre oder ähnliches und anders als Manuela Schwesig keine abenteuerliche Russlandpolitik vorzuweisen. Sie ist auch, anders als Peter Tschentscher, nicht in Cum Ex verwickelt und anders als Dietmar Woidke, noch vor und nicht über ihrem politischen Zenit. Sie hat sich damit, ex negativo und Wahlergebnis, direkt in die erste Reihe der SPD katapultiert.

Siebtens: Das Wahlergebnis ist für DIE LINKE Katastrophe und Chance zugleich.

DIE LINKE ist die große Wahlverliererin des Abends. Dass es eng werden würde, war spätestens nach dem egomanen Austritt von Oskar Lafontaine kurz vor der Wahl klar. Dass es jetzt so deutlich wurde, zeigt die absolute Stammwählerbasis, und diese ist sehr dünn, siehe Bundestagswahl 2021. Gleichzeitig stand Oskar Lafontaine zuletzt für Polarisierung, Ressentiments und Impfskepsis. Er ist spätestens jetzt Geschichte, und die LINKE könnte sich jetzt von weiteren personellen und inhaltlichen Altlasten trennen, um sich tatsächlich neu aufzustellen. Die Ablösung von Hans Modrow, der im Ältestenrat krude Thesen zum Ukraine-Krieg aufstellte („innerukrainischer Bürgerkrieg“) ist dazu ein erster Schritt. Das wäre ihre Chance. Ansonsten war dieses Wahlergebnis ein weiterer Zwischenschritt des Niederganges.

Achtens: Das Wahlergebnis ist eine herbe Hypothek für die Grünen

Ricarda Lang und Omid Nouripour hatten einen Wahlabend, wie ihn Annalena Baerbock und Robert Habeck als Parteivorsitzende nicht erlebten: sie mussten den Verlust einer ganzen Fraktion erklären. Natürlich sind die Querelen auf Landesebene der Hauptgrund gewesen. Aber die massiven Popularitätsgewinne der Außenministerin, die viel höheren Werte auf Bundesebene haben sich im Saarland nicht in Stimmen übersetzt. Dadurch sind die Grünen nun, wieder nicht flächendeckend vertreten, und die geleistete Arbeit auf Bundesebene zahlt bei der Kanzlerpartei ein. Dennoch dürfte es in NRW und vor allem Schleswig-Holstein deutlich besser laufen.

Neuntens: Der Wahlabend war auch eine Niederlage für die AfD

Zwar ist die selbst ernannte Alternative für Deutschland wieder in den Landtag gekommen, aber nur denkbar knapp. Auch ihre Stammwählerbasis garantiert nicht dauerhaft die parlamentarische Existenz, und das war vor kurzem noch anders. Ihr macht natürlich in ihrem impfskeptischen Kurs „Die Basis“ Konkurrenz, und hinsichtlich der Flüchtlingspolitik wird das (eurozentrische) Dilemma der AfD deutlich: selbst erhebliche Teile ihrer eigenen Wählerschaft möchte Geflüchteten aus der Ukraine helfen. Die pure Ablehnung von Geflüchteten kann für die AfD kaum mehr eine Option sein. Die Trennung in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge, die faktisch europäische Regierungspolitik ist (siehe die selektiven Pushbacks an der polnischen Grenze) ist allerdings viel schwerer kommunizierbar, gerade gegenüber der eigenen Wählerschaft, als ein Anti-Ausländer-Kurs. Die AfD wird gerade das Opfer davon, dass die Politik deutlich komplexer ist als ihre Inhalte es sind.

Zehntens: Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung zeigt sich bei den „Sonstigen“

Es ist doch bemerkenswert, dass fast zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler für „Sonstige“ gestimmt haben, insbesondere jüngere Menschen. Hier gibt es Klassiker wie die Tierschutzpartei, welche im grünen Spektrum gewählt wird, aber natürlich auch DIE PARTEI als satirische Negation von Realpolitik und „Die Basis“ als offizielle parteipolitische Vertretung der Querdenker. Es ist ein interessantes Bild, dass einerseits eine Partei fast die absolute Mehrheit auch aller abgegebenen Stimmen holt, andererseits allerdings sich immer mehr Menschen nicht von den klassischen Parteien angezogen fühlen. Dies ist durchaus ein Problem der demokratischen Resonanz und Partizipation, denn all diese Stimmen verfallen ja, und können sich nicht in parlamentarische Initiative umsetzen. Es ist allerdings vor allem ein Weckruf an die etablierten Parteien, ihre Politik besser zu erläutern und konsistente Politik zu machen, damit sich das Wahlverhalten nicht weiter derart zersplittert.