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Die PARTEI ein Jahr vor der Bundestagswahl – Kurz vor dem Einzug?

Satire wird salonfähig

Die PARTEI (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) ist als Satirepartei aus dem Umfeld der Zeitschrift Titanic entstanden und hat mit Martin Sonneborn eine prominente Persönlichkeit, die nach außen wirkt und Europapolitik erlebbar macht. Sie ist aufgrund ihres Fokus auf die Satire als Methode des Politischen ein Unikat in der deutschen Parteienlandschaft, aber nicht international.

In Italien hat der Komiker Beppe Grillo seine Prominenz genutzt, um die gerade anfangs auch mit satirischen Mitteln arbeitende Partei Fünf Sterne (Cinque Stelle) aufzubauen, die dort mittlerweile stärkste Kraft ist und den Regierungschef stellt. Allerdings ist dieser Erfolg nicht ohne die für Italien verordnete Sparpolitik erklärbar (Bsirske/Busch: 2018). In Island konnte „Die beste Partei“ (Besti flokkurinn) das Oberbürgermeisteramt der Hauptstadt Rejkjavik erobern. Regional gibt es viele Gruppierungen, die sich als explizit satirisch verstehen. Das simultane Entstehen von Satireparteien zeugt davon, dass es für solche Parteien wie Die PARTEI Platz sowohl im Zeitgeist als auch im Parteienspektrum gibt. Allerdings sind Satireparteien bisher vorwiegend ein städtisches Phänomen.

Die PARTEI und die Postdemokratie

Der englische Politikwissenschaftler Colin Crouch diagnostizierte bereits 2008 einen politischen Zustand, den er als „Postdemokratie“ bezeichnet. Dieser sei gekennzeichnet durch eine starke Personalisierung und Medialisierung von Politik, die zunehmende programmatische Angleichung der Inhalte und ein Verschwinden der grundlegenden politischen Alternativen (Bein: 2018; Crouch: 2008). Hierzu lässt sich, in Bezug auf Die PARTEI festhalten, dass gerade das Mittel der Satire der Inszenierung von Politik dient. Die Person Martin Sonneborn wurde und wird stark in den Fokus gerückt, genau wie zum Beispiel in Berlin der Comedian Serdar Somuncu als Spitzenkandidat. Und dadurch, dass es in der Tat zu einer zunehmenden Angleichung von politischen Inhalten kommt, verlieren diese an Unterscheidungskraft und damit auch an Relevanz. Die letzte Konsequenz dieses Relevanzverlustes ist dann die programmatische Forderung der Partei „Inhalte überwinden“.

Zwar ist die These der Postdemokratie politik- und sozialwissenschaftlich durchaus umstritten, aber sofern sie stimmt, ist Die PARTEI ihr konsequenter Ausdruck und parteipolitische Institutionalisierung.

Die Psychologie der Satire

Die PARTEI bekennt sich zum Mittel der Satire, und betrachtet diese auch als ihre Methode. Diese wiederum ist für viele Menschen attraktiv, weil sie verschiedene psychologische Funktionen erfüllt. Denn Humor, und sei es auch aggressiver Humor, sorgt für positive Affekte und bindet Menschen nachweislich an Organisationen (Pundt/Fröhlich/Nerdinger: 2017). Diejenigen, die uns zum Lachen bringen, finden wir fast automatisch sympathisch, denn sie erzeugen ja in uns ein gutes Gefühl, welches wir so vorher nicht hatten.

Durch die Satire ist es möglich, sich intellektuell über andere und deren Agieren und Unfähigkeit zu erheben und sich mittels Fremdabwertung selbst aufzuwerten (vgl. Heitmeyer: 2018). Das daraus resultierende Gefühl wird psychologisch als epistemische Dominanz bezeichnet, und es ist nachweislich etwas, was insbesondere für Männer attraktiv ist (was in Teilen auch die starke geschlechtliche Ungleichverteilung der PARTEI erklärt). Mittels der Satire kann auch einfach ein bestimmter Frust abgebaut und kanalisiert werden. Dieser Mechanismus wird in der Psychoanalyse als Katharsis, als Reinigung bezeichnet. Die empfundene Katharsis nach einem Abend im Kabarett ist das Gefühl, welches einem Die PARTEI immer wieder in kleinen Dosen gibt.

Ebenso ist Die PARTEI attraktiv für Menschen, die über einen ausgeprägten Zynismus verfügen. Dieses grundlegende Gefühl hat schon Hannah Arendt als ein „tiefes Weltmißtrauen“ bezeichnet (Arendt 2015(1972): 395). Viele der Plakate und Slogans sind Ausdruck von Zynismus, und die Satire ermöglicht die Akzeptabilität und das Ausleben dieses menschlichen Gefühls, welches keine andere Partei so ermöglicht.

Hinzu kommt jedoch noch ein weiterer, nicht zu unterschätzender Mechanismus: Satire reduziert Komplexität. Die Politik ist immer unverständlicher, immer schwieriger gedanklich zu durchdringen, und es ist auch zunehmend anstrengend, sich mit ihr zu befassen (König: 2018; Brennan: 2017). Die Satire hingegen vereinfacht die Themen, denn sie muss ja auf ein Plakat passen. Dadurch macht Die PARTEI Politik handhabbarer und gibt einen Deutungsrahmen. Und sie ist eine Wohltat für unseren menschlichen kognitiven Geizhals (Pendry: 2014), denn wir wollen nicht unbedingt mehr nachdenken als möglich. Auch das ermöglicht satirische Politik.

Stilistische und methodische Beinfreiheit

Die PARTEI kann aus ihrem Selbstverständnis als Satirepartei ganz anders agieren als andere Parteien, und wirkt damit schon über den Kontrasteffekt. Ein Plakat wie „Für Europa reicht´s“ (Europawahl 2019), „Leipzig raus aus Sachsen“ (Sachsen in brauner Frakturschrift; Kommunalwahl 2019), „Hier könnte ein Nazi hängen“ oder auch „Ja zur Massenbierhaltung, nein zur Massentierhaltung“ wäre bei anderen Parteien schlicht undenkbar (Mensch stelle sich bitte einmal kurz ein Plakat: „Für Europa reicht´s. SPD“ oder „Ja zur Massenbierhaltung. Nein zur Massentierhaltung. Grüne“ vor).

Auch ein Verhalten in Talkshows, wie Martin Sonneborns legendäres Diktum „Ich danke Ihnen für die Frage und möchte erstmal eine andere beantworten“ würde Politikerinnen und Politikern anderer Parteien als respektlos ausgelegt werden. Die PARTEI hingegen kann dies immer als Satire verkaufen, und hebt sich damit natürlich auch vom Politsprech sowie den ungeschriebenen Regeln politischer Korrektheit ab. Schon von der Sprache her, aber auch kulturell unterscheidet sie sich damit von vielen anderen Parteien. Ebenso hat Die PARTEI auch den interessanten stilistischen Widerspruch, dass sie einerseits liberale bis libertäre Positionen vertritt, andererseits aber auf Uniformität mit der entsprechend typischen Parteikleidung setzt. Sie ermöglicht also simultan ein Gefühl von Freiheit und Zugehörigkeit. Dies schaffen die etablierten Parteien stilistisch so nicht.

Jüngste Erfolge, insbesondere in der jungen Wählerschaft

Insgesamt zeigen die Wahlergebnisse der PARTEI nach oben. Bei der letzten Europawahl gelangen bereits 2,4%, und in vielen Großstädten war sie drittstärkste Kraft bei Jungwählerinnen und -wählern. Hier spielte sicher auch die Person Nico Semsrott als Identifikationsfigur eine Rolle. In Leipzig hat Die PARTEI zumindest bei der Europawahl schon über 5% gelegen, in Berliner Bezirken wie dem Friedrichshain oder Neukölln war sie nah dran. Und sie hat die Mandate genutzt, um Aufmerksamkeit zu generieren. Sie ist jetzt natürlich auch viel bekannter, und wird daher für mehr Menschen eine ernsthafte Wahloption. Daher wird sie, auch aus demographischen Gründen, in Zukunft zulegen.

Wenn aus Satire wahlarithmetischer Ernst wird

Das Wählerpotenzial der PARTEI speist sich einerseits aus bisherigen Nichtwählerinnen und Nichtwählern. Aufgrund ihrer starke, Ergebnisse bei Erstwählern schafft sie es mit Sicherheit auch, bei einigen Menschen zu verhindern, dass sie zu Nichtwählerinnen und Nichtwählern werden. Andererseits aber sind es, wie die Auswertungen der letzten Wahlen zeigen, vorwiegend Menschen aus dem rot-rot-grünen Spektrum, welche Die PARTEI wählen. Denn inhaltlich geht es in eine ähnliche Richtung, aber Die PARTEI ist deutlich lustiger. Allerdings: Auch wenn die Partei für sich das Links-Rechts-Spektrum negiert, so ist sie politologisch doch klar links einzuordnen. Hierfür stehen beispielhaft verschiedene Äußerungen Sonneborns, der die CDU als Interessenvertretung der Reichen angreift. Ebenso hat Nico Semsrott sich der Grünen-Fraktion im Europaparlament angeschlossen, und in der Kommunalpolitik hat sich Die PARTEI häufig mit der Linken zusammengetan (z.B. in Rostock, Schwerin oder München). Bündnisse ins Mitte-Rechts-Lager sind hingegen inexistent.

Das bedeutet, ein Teil der Stimmen, welche Die PARTEI bekommen wird (insbesondere von Jung- und Erstwählerinnen und – wählern), wäre sonst bei SPD, Grünen und Linken gelandet. Dies aber könnten, sofern Die PARTEI nicht in den Bundestag kommt, genau die Stimmen sein, die zu einer rot-rot-grünen Mehrheit fehlen. Und im Ergebnis würde dann ausgerechnet Die PARTEI zum Machterhalt sowie der Kanzlerschaft der CDU beigetragen haben. Genau das ist dann der Punkt, wo aus Satire wahlarithmetischer Ernst wird. Allerdings hätte dies für Die PARTEI, aus einer binnenparteilichen Sicht, natürlich den Vorteil, dass die CDU mittels Satire deutlich einfacher angreifbar ist. Schon Helmut Kohl war, anders als Schröder, der Liebling der Kabarettistinnen und Kabarettisten.

Rezo hat teils mit satirischen Mitteln tatsächlich die Zerstörung des Wahlergebnisses der CDU bei der letzten Europawahl herbeigeführt. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet eine Satirepartei für den Konservatismus den machtpolitischen Rettungsanker darstellt. Aber genau dieser Treppenwitz ist eben nicht unwahrschenlich.

Stärken

  • Sie sind regelmäßig wirklich witzig
  • Hohe Erkennbarkeit und Bekanntheit insbesondere von Martin Sonneborn
  • Können ein anderes Wording machen als andere Parteien und wirken so über den Kontrasteffekt
  • Bei Jungwählerinnen und -wählern sowie in den Städten stark
  • Beherrschen die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie sowie das Spiel der Medien
  • Geben einem das Gefühl intellektueller Überlegenheit über etablierte Politik

Schwächen:

  • Einige Witze und Plakate werden nicht als witzig wahrgenommen (oder sind es schlicht nicht)
  • Eigene Programmatik ist sehr diffus und unterentwickelt
  • Sehr schwach auf dem Land und bei älteren Wählerinnen und Wählern (was auch nicht verwundert, da diese ja als „Letztwähler“ karikiert werden)
  • Nicht immer gegebenes Bewusstsein für die Grenzen der Geschmacklosigkeit
  • Vergleichsweise dünne Mitgliederbasis

Chancen:

  • Eine wirklich gute und witzige Kampagne
  • Weitere Prominente, die sich zur PARTEI bekennen
  • Dauerhafte Bindung jüngerer Wählerinnen und Wähler
  • Steigende Verdrossenheit über klassische Parteien
  • Schwäche von SPD und Linken kann ihnen hier Wählerinnen und Wähler zuspielen

Risiken:

  • Durch den Erfolg institutionalisiert sich die PARTEI und verliert damit ihre Leichtigkeit
  • Wird zunehmend Mainstream und dadurch unglaubwürdig
  • Satire und Spott über die Politik der PARTEI (mit den eigenen Waffen geschlagen werden)
  • Hoch politisierter Wahlkampf, in dem das Gefühl besteht, dann man seine Stimme nicht an eine Satirepartei geben darf, weil die Situation zu ernst ist
  • Keine so zugkräftige Persönlichkeit wie Martin Sonneborn zu haben
  • Dass viele Wählerinnen und Wähler der PARTEI aufgrund der gegeneben 5%-Hürde Leihstimmen vergeben

Prognose: Das Wahlergebnis wird deutlich besser, aber diesmal wird der Einzug in den Bundestag mit 4% noch knapp verpasst werden

Literatur:

Bein, Simon (2018). Von der Demokratie zur Postdemokratie? Zeitschrift für Politische Theorie, 1, S. 51-72.

Brennan, Jason (2017). Gegen Demokratie. Warum wir Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen. Princeton: Princeton University Press.

Bsirske, Frank/Busch, Klaus (2018). Die sozialen und politischen Kosten der Austeritätspolitik – Schwächung der Gewerkschaften und Stärkung des Rechtspopulismus. WSI Mitteilungen, 6, S. 522-527.

Crouch, Colin (2008). Postdemokratie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.

Heitmeyer, Wilhelm (2018). Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung. Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft.

König, Pascal (2018). Algorithmen und die Verwaltung sozialer Komplexität. Zur Neukonfigurierung der Idee der Selbstregierung des Volkes. Zeitschrift für Politikwissenschaften, 3, S. 289-312.

Pendry, Louise (2014). Soziale Kognition. In Jonas, Klaus/Stroebe, Wolfgang/Hewstone, Miles (Hg.). Sozialpsychologie. Berlin: Springer Wissenschaft. S. 107-140.

Pundt, Alexander/Fröhlich, René/Nerdinger, Friedemann (2017). Humor Makes Them Want to Stay. The Relationship Between Humor in Leadership, Follower Cynicism and Turnover Intentions. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 3, S. 105-122.