Eine besondere Rede Özdemirs
Cem Özdemirs Wutrede gegen die AfD ist eine in multipler Hinsicht bemerkenswerte Art der Erwiderung, welche so ein Novum darstellt, was die rhetorischen Reaktionen der etablierten Parteien auf die rechtspopulistische Herausforderung angeht. Sie ist schon jetzt der Inbegriff der Gegeneskalation, als Reaktion auf die Verschiebungen der Grenzen des Sagbaren seitens der AfD sowie ihr diskursiv verstreutes verbales Gift. Vorweg lässt sich schon einmal sagen: Was den Pathos und das Ethos angeht, hat Özdemir wohl das Maximum herausgeholt. Auch stimmlich und gestisch erscheint diese Rede überwiegend sehr gut choreographiert, wenngleich temporär hektisch und stakkatohaft. Jedoch hat die Rede Probleme bei der logischen Beweisführung, die in der Konsequenz zu einem politisch-strategischen Problem werden kann.
Die Klammer der Rede: Die Besetzung des Heimatbegriffes
Was insbesondere am Anfang und am Ende von Özdemirs Rede herauskommt, ist der Versuch, den Begriff Heimat rhetorisch zu besetzen, um ihn so den Rechtspopulisten streitig zu machen. Dies ist insofern gewitzt, als dass es der AfD sicher wehtut, gerade von einem Politiker mit dem Namen Özdemir ihren zentralen Topos streitig gemacht zu bekommen. Es ist aber auch konsequent, da es beim politischen Aschermittwoch der AfD Rufe nach der „Abschiebung“ Özdemirs gab. Diese entsprechend zu dekonstruieren, indem er seinen Heimatbahnhof in Schwaben anführt, zeigt den ethnisierten, anachronistischen Begriff des Deutsch-seins, wie ihn die AfD verwendet, auf. Dennoch ist zwar der Ansatz der Definition Deutschlands seitens von Özdemir gut gewählt, die argumentative Beweisführung verbleibt jedoch bruchstückhaft und Özdemirs Rede somit unnötig angreifbar.
Der Einstieg
Der erste Angriff nach 38 Sekunden, die antithetische Stellung zwischen „Gleichschaltung“ auf der einen und Pressefreiheit auf der anderen macht sofort die Fronten klar. Jedoch bedient Özdemir unnötig die „Wir gegen euch“ Metaphorik, indem er auf den „demokratischen Teil“ des Parlamentes verweist. Der Vorwurf, die AfD sei undemokratisch, müsste belegt werden. Ebenso ist das direkte Framing der Gleichschaltung aufgrund der expliziten historischen Kontamination des Begriffes überzogen, bzw. leider nicht hinreichend erläutert.
Sehr gut ist hingegen die Selbstverständlichkeit, mit der der Einsatz für inhaftierte Journalistinnen und Journalisten unabhängig von der Nationalität zu erfolgen hat. Damit zeigt Özdemir auf, dass die AfD ein Staatsversagen produzieren würde, da sie wohl einer Person, die ihrer Ansicht nach nicht wirklich deutsch ist, nicht helfen würde.
Die bewusste Provokation
Özdemir hat trotz seiner heißen Rhetorik kühl kalkuliert, wie er Reaktionen hervorrufen kann. Gerade der Vorwurf, die AfD würde im Grunde Deutschland verachten, sowie die Attacke, dass in den Regimen, von denen die AfD träume, das Mikrofon abgeschaltet werden kann, sind sehr effektvoll. Wahrscheinlich macht genau das die rhetorische Distinktion eben dieser Rede aus. Denn der Habitus vieler Rednerinnen und Redner, die sich mit der AfD auseinandersetzen, ist von Rechtfertigung und Passivität geprägt. Özdemir hingegen kämpft mit offenem Visier und bedient damit Bedürfnisse nach Zuspitzung, nach sprachlicher Klarheit, nach politischer Differenz.
Der exemplifizierte Eigenwertbruch: Der Applaus für Russlands Nationalmannschaft
Eine der stärksten Passagen der Rede war die Antithese zum Verhältnis der AfD zur deutschen und zur russischen Nationalmannschaft. Özdemir hat partiell erklärt, weshalb die Fußball-Nationalmannschaft eben nicht das Subjekt des Applauses der AfD ist, obwohl sie ein Aushängeschild Deutschlands ist, spätestens seit dem WM-Sieg 2014.
Genau warum dies so ist, hätte Özdemir klarer herausstellen sollen. Dass es der deutsche Pass ist. Dass die Hautfarbe keine Rolle spielt. Dass hier Menschen mit und ohne Migrationshintergrund völlig selbstverständlich miteinander spielen und sich in Wertschätzung und gemeinsamen Zielen verbunden sehen. Dass es genau das ist, was ein modernes Deutschland ausmacht, was es ausmachen soll.
Sehr gelungen ist hingegen der Angriff, dass die AfD heimlich der russischen Nationalmannschaft die Daumen drücke. Damit spricht er effektvoll den selbsternannten Patrioten eine wesentliche Symbolik des Patriotismus ab. Er erinnert implizit an die dubiose Finanzierung der AfD. Und er stellt ihre Loyalität zu dem in Frage, was ihr Monothema ist: Deutschland. Dies ist eine gelungene Eigenwertbruchargumentation, die sitzt.
Die rhetorischen Erfrischungen: Özdemirs Analogieargumentationen
Was der Rede gut tut, sie plastisch und erfrischend macht, sind Özdemirs verwendete Analogien. Die AfD mit einem faulen Holz zu vergleichen ist ein gutes Framing, um ihre Ideologie zu dekonstruieren. Ebenso ist es ein gewitzter rhetorischer Schachzug, angesichts der Affinität der AfD zum Autoritarismus sie als deutschen Ableger der türkischen AKP zu karikieren. Diese Pointe trifft vor allem deshalb, weil derzeit Deutschtürken ein besonderes Thema der AfD sind. Jedoch hätte er klarifizieren sollen, dass es um diese Bruderschaft im Geiste des Autoritarismus geht. Denn weder ist die AfD, so wie die AKP, eine staatstragende Regierungspartei, noch eine konfessionelle Partei. Dennoch hat der Vergleich offenkundig wehgetan, und somit sein rhetorisches Ziel erreicht. Die Kritik an den menschenverachtenden Reden, welche die AfD an ihrem politischen Aschermittwoch hielt, war bitter nötig, und dennoch war die Analogie zum Sportpalast unnötig und leider auch überzogen (wie es allzu oft bei Nazi-Vergleichen passiert). Denn Goebbels-Rede war geprägt von einer totalen geistigen Mobilmachung, letztlich von eliminatorischem Antisemitismus und diente instrumentell der Fortführung des Krieges. Die Reden der AfD waren fremdenfeindlich und mehrfach gruppenbezogen menschenfeindlich, auch rassistisch und an vielen Stellen klar konfligierend mit dem Grundgesetz. Aber sie enthielten keine direkten Aufrufe zu Gewalt und Krieg. Daher: Die letzte Analogie war überzogen.
Was macht diese Rede so besonders und zugleich ambivalent?
Es ist die Vehemenz und Drastizität, mit der Özdemir agiert. Die Rede kann als das angesehen werden, was der in Princeton lehrerende Politiktheoretiker Jan-Werner Müller als „liberalen Populismus“ bezeichnete. Die Rede strahlt jedoch vor allem eine Stärke und Entschlossenheit aus, die andere Reden contra Rechtspopulismus vermissen lassen. Gerade das Pathos und die begrifflich harten Zuschreibungen der AfD exemplifizieren demokratische Gegenwehr, welche sicher bisher vermisst wurde.
Vor allem wird die AfD in dieser Rede begrifflich sehr klar charakterisiert, nämlich als rassistisch, demokratiefeindlich und als das verachtend, wofür sie vorgibt zu kämpfen. All dies sind harte Anschuldigungen und semantisch gewagte Behauptungen, die, auch in einer solch kurzen Rede, der Explikation bedürfen.
Das mittel- bis langfristige Problem, welches diese Rede Özdemirs diskursiv generiert, ist dass sie Standards unterläuft. Auch hier wird mit Anschuldigungen, abwertenden Vorwürfen ad organisationem und bewusster Polemik gearbeitet. Dies kann jedoch, gerade aufgrund der weithin positiven Rezeption dieser Rede dazu führen, dass diese Art des Redens als Referenzmaßstab der Erwiderung genommen wird. Dies würde jedoch in der Konsequenz dazu führen, dass der parlamentarische Diskurs noch weniger respektvoll, sachlich und unaufgeregt geführt wird. Dies ist nicht zu hoffen und zu wünschen.
Trotz dieser immanenten Gefahren ist die Rede ein Beispiel für das, was Timothy Garton Ash in seinem Buch „Redefreiheit“ immer wieder einforderte: Robuste Zivilität.
Institut für Kommunikation und Gesellschaft
Potsdam, den 04.03.2018